Im letzten Eintrag zum Thema Vollgeld stellten wir fest, dass die vorliegende Vollgeld-Initiative die Sichteinlagen zu 100% schützen will – und dies auch im Fall eines Konkurses einer Bank. Im Folgenden werden die umstrittenen Aspekte der Initiative thematisiert.
Dass die Initiative unsere Sichteinlagen sicher macht, bestreiten auch die Gegner der Vorlage nicht. Ebenso einig ist man sich, dass es in einem Vollgeldregime einfacher ist, eine Bank in Konkurs gehen zu lassen, falls dies notwendig ist. Welches sind dann aber die Nachteile der Initiative? Dabei geht es um die Fragen, ob mit Vollgeld Krisen verhindert werden können, die Kreditversorgung gewährleistet bleibt und mit welchen Konsequenzen die Schweizerische Nationalbank (SNB) konfrontiert wäre.
Die Kreditschöpfung würde sich auf die Termin- und Spareinlagen beschränken
Finanzkrisen können verschiedene Ursachen haben. Das typischerweise gemeinsame Merkmal ist ein starker Anstieg der Verschuldung, die früher oder später nicht mehr tragbar ist. Dabei verhalten sich die Banken in der Regel prozyklisch, weil sie im Aufschwung das Kreditangebot mit der Buchgeldschöpfung ausweiten bzw. die steigende Kreditnachfrage befriedigen und die Risiken häufig unterschätzen. In der Regel bricht der Kreditzyklus dann ein, wenn die Zinsen steigen oder deflatorische Tendenzen einsetzen und die Schuldner in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Abschreibungen auf den Kreditpositionen setzen die Banken unter Druck und sie schränken das Kreditangebot ein, was ebenfalls prozyklisch wirkt. Wenn sich eine Finanzkrise zuspitzt und sich auf die Finanzmärkte ausbreitet, bangen die Kundinnen und Kunden um ihre Einlagen. Wenn sich dann in der Folge lange Schlangen vor den Bankschaltern bilden, gerät die Bank in einen Abwärtsstrudel, der nicht mehr aufhaltbar ist. Im Vollgeldregime bliebe der Kreditschöpfungsrahmen der Banken auf die Termin- und Spareinlagen beschränkt. Somit wären die Banken gezwungen, den Kreditzyklus zu «glätten», womit vermutlich auch die konjunkturellen Schwankungen weniger stark ausfallen würden. Dass damit Finanzkrisen verhindert werden könnten, ist allerdings fragwürdig. Zum einen erfolgt der Schuldenaufbau im Aufschwung nicht nur über Bankbilanzen. Die Banken selbst und die kapitalmarktfähigen Unternehmen finanzieren sich zu beträchtlichen Teilen mit Anleihen. Oft sind die systemischen Risiken vergangener Bankenkrisen auch von den sogenannten Schattenbanken ausgegangen. Schliesslich können die Banken auch unter Druck geraten, wenn viele Kundinnen und Kunden ihre Termin- und Spareinlagen kündigen oder der Interbankenmarkt einfriert.
Bleibt die Kreditversorgung gewährleistet?
Dass die Rolle der Banken als «Kreditkatalysatoren» im Vollgeldregime eingeschränkt wird, ist durchaus auch positiv zu werten. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Kreditversorgung gewährleistet bleibt. Von den gesamten Kundeneinlagen der Schweizer Banken im Umfang von CHF 1’800 Mrd. bestehen rund 30% aus Sichteinlagen. Weil derzeit die Sichteinlagen in fast vollem Umfang mit Notenbankgeld gedeckt sind, müssten sich die Banken bei der Einführung des Vollgeldregimes unmittelbar keine neuen Finanzierungquellen erschliessen. Wenn die aktuell extrem hohe Überschuss-Liquidität durch die SNB mittel- und längerfristig abgebaut wird, müsste sie wahrscheinlich die Kreditvergabe mitfinanzieren, indem sie den Banken Kredite gewährt. Einer der wichtigsten Punkte, der gegen ein Vollgeldregime spricht, ist der Umstand, dass die Kredite ziemlich sicher verteuert werden. Die Kreditbanken wehren sich mit Händen und Füssen gegen die Initiative, weil sie die Sichteinlagen als billigste Finanzierungsquelle verlieren würden und letztere via der Buchgeldschöpfung nicht mehr vervielfacht werden könnte. Im Zuge der Auslagerung der Sichteinlagen würden die Banken die höheren Finanzierungskosten auf die Kreditzinsen überwälzen, was das gesamtwirtschaftliche Wachstum beeinträchtigen könnte. In einer vertieften Beurteilung müssten den höheren volkswirtschaftlichen Kreditkosten die positiven Effekte eines sicheren Bankensystems gegenübergestellt werden.
Neue Rolle für die SNB?
Im Vollgeldsystem hätte die Notenbank eine direkte Kontrolle über die Geldmenge M1 bzw. über die Zahlungsmittelmenge, da diese ausschliesslich aus Vollgeld besteht und nicht mehr durch die Banken ausgeweitet werden kann. Dies würde bedeuten, dass die Notenbank die Geldpolitik direkter und effektiver umsetzen kann. Vermutlich müsste die Notenbank das geldpolitische Konzept ändern und die Stabilitätsziele nicht mehr mit den Leitzinsen, sondern mit der Geldmengensteuerung zu erreichen versuchen. Damit könnte die SNB das Geldmengenwachstum an das Wachstumspotenzial der Wirtschaft binden und für eine Verstetigung der Geldpolitik und damit der Inflation sorgen.
Die Vollgeldinitiative verlangt, dass die SNB das Geld ohne Zins- oder Rückzahlungsverpflichtung an den Bund, die Kantone oder die Bürger ausgeben müsste. Die Initianten schätzen das «ausschüttbare Vermögen» in Form eines einmaligen Sondergewinns auf CHF 300 Mrd. und die jährlichen Transfers auf CHF 2 bis 4 Mrd. Allerdings würde damit (nur) ein Vermögenstransfer von einer staatlichen Institution(SNB) zu einer anderen (Bund oder Kantone) stattfinden. Die Debatte darüber ist ähnlich wie jene über die Gründung eines Staatsfonds, der mit den Anlagen der SNB alimentiert würde. Im Zusammenhang mit dem Vermögentransfer an den Staat stellt sich die Frage, ob die Notenbank ihre Ziele noch unabhängig umsetzen könnte. Wenn man sich vor Augen hält, dass alle Hyperinflationen der Weltgeschichte ihren Ursprung in staatlich verordneten Aktionen zur direkten oder indirekten Staatsfinanzierung durch die Notenbanken hatten, wird man sich bewusst, dass die Unabhängigkeit der Geldpolitik einen hohen Stellenwert behalten muss. Natürlich würde es in der Schweiz mit der Umsetzung der Vollgeld-Initiative nicht zu einer Vereinnahmung der SNB durch den Bund und die Kantone kommen, die SNB wäre aber gewiss vermehrt politischen Begehrlichkeiten ausgesetzt.
Was meint die akademische Welt?
Der Bund, die SNB und allen voran die Grossbanken und die kreditlastigen Regionalbanken lehnen die Vollgeld-Initiative mit den erwähnten Vorbehalten ab. Im Kreise der Ökonomen ist das Vollgeldsystem umstritten. Neoliberale Ökonomen kritisieren vor allem die Gefahr der direkten Staatsfinanzierung, während das Hauptargument der postkeynesianischen Ökonomen, die für eine aktivistische Geld- und Fiskalpolitik einstehen, in der möglichen Beeinträchtigung des Kreditangebots besteht.
Die Ziele der Vollgeld-Initiative, namentlich der bessere Schutz der Kundengelder und eine bessere Standhaftigkeit des Bankensektor in Krisenzeiten, könnten auch mit einer regulatorischen Verschärfung der Kapitalvorschriften angestrebt werden. Da die Schweizer Banken aber bereits höhere Eigenkapitalquoten erreichen müssen als die ausländischen Banken (Basel III), steht aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Banken eine weitergehende Regulierung nicht zur Diskussion.
Weitere Beiträge von Urs Brunner