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Fokus Italien — Geht Rom auf Kolli­si­onskurs mit Brüssel?

Als die neue italie­nische Regierung im Mai 2018 den Koali­ti­ons­vertrag aushan­delte, reagierten die Märkte nervös. Bereits damals war klar, dass die Verein­ba­rungen zwischen der Lega Nord und der 5‑Sterne-Bewegung (M5S) einige Wahlver­sprechen beinhaltete, die sich Italien schlicht nicht leisten kann.

Budget­de­batte mit Sprengkraft

Die laufende Budget­de­batte wird sowohl für die Regie­rungs­ko­alition als auch für die Beziehung zwischen der Koalition und Brüssel zur Belas­tungs­probe. Beide Koali­ti­ons­partner wollen möglichst viel von ihren Wahlver­sprechen umsetzen. Das Kernan­liegen der Lega sind Steuer­sen­kungen, während das Haupt­an­liegen der M5S die Garantie eines Grund­ein­kommens ist. Eine sofortige Umsetzung der Einheits­steuer würde das Budget mit rund 50 Mrd. Euro belasten. Die Garantie des Grund­ein­kommens von 780 Euro pro Einwohner würde mit gegen 35 Mrd. Euro negativ zu Buche schlagen. Die Renten­reform würde in der ursprüng­lichen Version 15 Mrd. Euro kosten. Die beiden stell­ver­tre­tenden Minis­ter­prä­si­denten, der Exzen­triker und impulsiv auftre­tende Salvini (Lega Nord) und der politisch unbescholtene Di Maio (M5S), den die NZZ als «Mann ohne Lebenslauf» bezeichnete, sind sich in vielen Grund­satz­fragen uneinig. Ein Streit über einzelne Budget­po­si­tionen könnte durchaus zu einem Zerwürfnis der Koalition und in der Folge zu Neuwahlen führen. Dem partei­losen und damit auch macht­losen Finanz­mi­nister Tria obliegt die Aufgabe, die Ansprüche der beiden Kontra­henten im Zaume zu halten und die Finanz­märkte zu beschwich­tigen. Besonders Salvini sorgte mit seiner Respekt­lo­sigkeit gegenüber demokra­ti­schen Regeln und staat­lichen Insti­tu­tionen immer wieder für Unruhe an den Finanz­märkten. Der hohe Kapital­ab­fluss aus Italien, die steigenden Rendi­te­auf­schläge italie­ni­scher Staats­an­leihen und die Senkung des Rating-Ausblicks durch die Rating-Agentur Fitch haben die Regierung in den letzten Tagen sogar dazu bewegt, gegenüber Brüssel leisere Töne anzuschlagen. So liess sich Salvini mit der Aussage zitieren, dass der Budget­entwurf die EU-Regeln einhalten werde. Um dies zu erreichen, werden die Wahlver­sprechen nun wahrscheinlich schritt­weise eingeführt.

Wird es zu Eclat kommen?

Wenn das Budget die 3 %-Marke tatsächlich nicht überschreitet, sieht sich Brüssel nicht unmit­telbar zu Inter­ven­tionen gezwungen. Weil Italien aber einen Schul­denberg von 2’300 Mrd. Euro vor sich herschiebt, der mit 130 % des Brutto­in­land­pro­dukts (BIP) weit über der Maastrichter-Grenze von 60 % liegt, wird Brüssel den Rotstift bei der mittel­fris­tigen Budget­planung ansetzen. Die EU-Fiskal­regeln sehen vor, dass ein hoch verschul­deter Staat ein Budget anstreben muss, das bereinigt um konjunk­tu­relle Einfluss­fak­toren, ausge­glichen sein muss. Mit einer schritt­weisen Einführung der Steuer­sen­kungen und Mehraus­gaben für das Grund­ein­kommen wird Italien die Vorgaben für die jährliche Defizit­re­duktion noch weniger als in der Vergan­genheit einhalten können. Brüssel verfügt über kein griffiges Instrument, um die italie­nische Regierung zu sanktio­nieren. Rom und Brüssel werden in den nächsten Wochen vermutlich schonend mitein­ander umgehen, um keine neue Eurokrise zu provo­zieren, die im schlimmsten Fall in einem Austritt Italiens oder zumindest aus der Eurozone enden würde.

Weiter­wursteln oder die Probleme an der Wurzel packen?

Alle Betei­ligten sind sich aber im Klaren, dass Italien einen wachsenden Schul­denberg nicht nachhaltig finan­zieren kann. Der Schul­den­dienst verschlingt jetzt schon 65 Mrd. Euro oder 3.7 % des BIP. Weil die EZB das Anleihen-Kaufpro­gramm Ende 2018 stoppen wird und im Verlauf des Jahres 2019 weitere Schritte im Hinblick auf eine Norma­li­sierung der Zinsland­schaft zu erwarten sind, wird die Zinslast auch ohne Schul­den­an­stieg zunehmen. Wenn die Märkte die Lage plötzlich pessi­mis­ti­scher einschätzen und Inves­toren aus Angst vor Verlusten im grossen Stil italie­nische Staats­an­leihen verkaufen, würde sich die Krise auf die italie­ni­schen und franzö­si­schen Banken ausbreiten, die immer noch grosse Teile der italie­ni­schen Staats­pa­piere in ihren Bilanzen halten. Um ein solches Szenario zu verhindern, müsste der europäische Stabi­li­täts­me­cha­nismus (ESM) und der IMF – ähnlich wie im Fall Griechen­lands – einspringen. Die dazu notwen­digen Mittel wären aber um ein Vielfaches höher als im Fall Griechen­lands und müssten durch den ESM selbst am Kapital­markt aufge­nommen werden.Gegen die vor allem von Emmanuel Macron angestrebte teilweise Verge­mein­schaftung der Schulden in der Eurozone durch die Einführung von Eurobonds wehren sich Deutschland und andere Euroländer mit soliden Staats­fi­nanzen. Auch der von der neuen italie­ni­schen Regierung immer wieder ins Feld geführte Schul­den­schnitt auf den von der EZB gehal­tenen Anleihen stösst aus nachvoll­zieh­baren Gründen auf erheb­lichen Wider­stand. Für eine nachhaltige Verbes­serung der Finanzlage müsste Italien einschnei­dende Reformen und den Abbau des Staats­ap­pa­rates anstreben. Nur so könnte Italien die viel zu hohen Lohnstück­kosten senken und inter­na­tional wieder wettbe­werbs­fähig werden. Davon ist im italie­ni­schen Koali­ti­ons­vertrag aber kaum die Rede.

Chart Übersicht Gläubiger Italiens

 


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