An den internationalen Ölmärkten ist die Hektik mit Händen zu greifen: Angesichts des Corona-bedingten Stillstands dürfte die Nachfrage nach dem schwarzen Gold im April und Mai weltweit um 20% einbrechen. Das sind täglich 20 Millionen Fass, die gefördert werden und keine Abnehmer finden.
Historische Drosselung der Fördermenge
Nachdem die OPEC sich anfangs März nicht auf eine Förderdrosselung einigen konnte, drehten die Saudis den Ölhahn sogar noch auf. Der Ölpreis krachte auf Rekordtiefstände. Hätten sich die Streithähne der OPEC nun Mitte April nicht doch noch zusammenraufen können, wären die globalen Lager irgendwann im Sommer überlaufen. Dazu scheint es vorerst nicht zu kommen: Unter Druck des Marktes, der G20 Minister und seitens des U.S.-Präsidenten – welcher den Deal begrüsste, für sein Land aber keine bindende Drosselungsverpflichtung einging – haben sich die 23 Staaten der erweiterten OPEC für die kommenden Monate zu einer Fördersenkung von ca. einem Viertel im Vergleich zum Oktober 2018 ausgesprochen. Auch während des nächsten und sogar übernächsten Jahres sieht der Plan der OPEC+ einschneidende Produktionskürzungen vor. Sollten sie sich daranhalten, sind das Einschnitte von nie dagewesenem Ausmass.
Es droht längerfristig ein grösserer Produktionsausfall
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass selbst die Ölimportländer unter den G20 sich für eine Stabilisierung der Ölpreise einsetzten. Letztlich zeigt dies aber, dass mit den derzeit ultratiefen Ölpreisen der langfristigen Versorgung beträchtlicher Schaden droht. Die grossen westlichen Energieriesen wie Exxon, Chevron, BP, Shell oder Total haben ihre Investitionsbudgets für das laufende Jahr bereits massiv zusammengestrichen, vorerst um rund einen Drittel. Sie alle brauchen 40 — 60 USD pro Fass, um ihre Kapitalkosten zu decken und die nötigen Investitionen für die zukünftige Produktion tätigen zu können. Keiner von ihnen hat es bislang allerdings gewagt, die Dividende zu kürzen. Die fehlenden Investitionen dürften sich aber mit ein bis vier Jahren Verzögerung in einer Produktionsminderung bemerkbar machen.
Das Öl ist günstiger als das billigste Mineralwasser
Mit einem Fasspreis (159 Liter) von gut 20 USD kostet der Liter des wertvollen Rohstoffs derzeit noch knapp 12 Rappen und damit weniger als ein billiges Mineralwasser im Supermarkt. Viele Firmen bieten ihr Rohöl auf dem physischen Markt jedoch zu noch deutlich tieferen Preisen an, denn die Transportkosten müssen bei den realisierten Preisniveaus in Abzug gebracht werden. So erhält ein kanadischer Produzent in Alberta derzeit noch sage und schreibe 6 USD pro Fass. Das ist gerade mal so viel, wie man in einem kanadischen Restaurant für ein Glas Rotwein bezahlt. Ein lächerlicher Preis für 159 Liter purer Energie, die notabene reichen würde, um einen typischen Schweizer 4‑Personen-Haushalt einen Monat lang mit Strom und Wärme zu versorgen.
Ein Schock mit nachhaltigen Konsequenzen
Der jetzt angekündigte Produktionsschnitt ist für auf Petrodollars angewiesene Volkswirtschaften wie Saudiarabien, Russland oder Nigeria denn auch schmerzhaft, aber letztlich alternativlos. Und er dürfte gerade beim Saudischen Königshaus für gehörigen Druck zu einer rascheren Diversifikation weg von Öleinnahmen und hin zu einer offeneren Gesellschaft führen. Man wird in Riad aber mit Argusaugen die U.S.-Produktion beobachten: Steigt der Preis für ein Fass wieder in den Bereich von USD 50, melden sich Schieferproduzenten in Texas und North Dakota nämlich schnell zurück. Dort — wie auch in der Offshore-Förderung — führen die tiefen Marktpreise notgedrungen zu Technologie-getriebenen strukturellen Anpassungen, welche die Gestehungskosten beständig sinken lassen. Um weitere Marktanteilsverluste zu vermeiden, müsste die OPEC dann rasch mit einem Öffnen ihrer Schleusen antworten.
Vorerst bleibt die Ölschwemme
Die OPEC-Ankündigung vom letzten Wochenende hat im Ölhandel indessen nur vorübergehend für Beruhigung gesorgt. Denn kurzfristig reichen die angekündigten Massnahmen nicht aus: Sie führen netto zu einer Förderreduktion von ca. 7 Millionen Fass pro Tag. Selbst wenn auch die übrigen Ölproduzenten Marktpreis-bedingt ihre Kapazitäten zurückfahren, dürfte die Überproduktion im April und Mai im Bereich von 8 Millionen Fass täglich liegen. Damit muss kurzfristig mit volatilen und möglicherweise noch deutlich tieferen Preisen gerechnet werden.
Eine Beruhigung zeichnet sich ab
Immerhin: Man darf davon ausgehen, dass sich der globale Öldurst im Lauf der zweiten Jahreshälfte wieder allmählich erholt und per Ende Jahr vielleicht auf ein Niveau von 8% unter demjenigen des Jahres 2019 zu liegen kommt. Dann wäre die Balance am Ölmarkt wiederhergestellt. In diesem Szenario ist per Jahresende sogar ein Nachfrage-Überschuss und damit ein Lagerabbau möglich.
Die Terminkurve zeigt steil nach oben
Die Kristallkugel besitzt auch im Ölhandel niemand. Doch ein Blick auf die steil nach oben zeigende Terminkurve verrät, dass auch der Markt bis Ende Jahr von einer ausgewogenen Angebots-Nachfrage-Bilanz ausgeht. Während der Kontrakt der Marke West Texas Intermediate zur Auslieferung im Mai noch zu Spotpreisen von 20 Dollar pro Fass handelt, kostet dasselbe Fass zur Lieferung im September bereits USD 35. Eine Erholung zeichnet sich somit ab. Dennoch: Der Corona-Schock dürfte auf alle Akteure am Ölmarkt eine nachhaltige Wirkung entfalten.
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