In unserem letzten Blog-Eintrag der Triologie «Szenarien für eine Welt mit Corona» reflektieren wir die bisherigen Erkenntnisse mit Martin Folini, Verwaltungsrat in verschiedenen Familienunternehmen und Stéphane Bloch, Verwaltungsrat in Unternehmen verschiedener Markenartikelproduzenten und Berater für eine verantwortungsvolle und nachhaltige Unternehmensführung. Die Fragen stellt Dominik Staffelbach, Kundenberater für Unternehmerinnen und Unternehmer bei Rahn+Bodmer Co.
Wirtschaftslage
Wie schätzen Sie die Wirtschaftslage ein?
Martin Folini: Ich bin im Verwaltungsrat von verschiedenen Unternehmen, einzelne profitieren, andere kämpfen. Wir überlegen uns in jeder VR-Sitzung drei Szenarien: (1) Best Case, dies bedeutet dennoch meist schlechter als Budget, (2) Worst Case, das heisst, keine Erholung und es geht so weiter wie im zweiten Quartal oder (3) erwarteter Case: Nike Szenario, das heisst, tiefer Fall, schnelle kleine Erholung und dann langsamer Aufstieg. Dies auch deshalb, weil sich die Welt bezüglich Corona nicht synchron entwickelt. Beispielsweise ist China sehr gut mit der Bewältigung vorangekommen, Nord und Südamerika jedoch nicht. Solange diese Märkte ihre Ansteckungsrate nicht stabilisieren oder reduzieren können, wird sich die Wirtschaft als Ganzes nicht erholen. Ein Beispiel: Ich kann momentan keine Maschine in gewisse Regionen liefern, weil der zuständige Installations-Monteur für zwei Wochen in Quarantäne müsste.
Stéphane Bloch: Auch ich würde mir eine solche Kurve wünschen, bin aber nicht so zuversichtlich. Die Notenbanken pumpen Geld in das System, die Kapitalmärkte eilen von Rekord zu Rekord, aber der kleine Mann auf der Strasse spürt nichts davon. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter. Die Folge: protektionistische und nationalistische Tendenzen. Dies bereitet mir Sorgen.
«Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter. Die Folge daraus sind protektionistische und nationalistische Tendenzen.»
Martin Folini: Dem stimme ich zu. Ich bin schockiert über die Rolle Europas während der Krise. Grenzen wurden geschlossen und so wichtige Güter wie Atemmasken wurden zurückbehalten. Jeder schaute für sich. Europa als dritte grosse Macht hörte auf zu existieren. Dies ist langfristig sehr gefährlich. Europa ist auseinandergedriftet und ich hoffe, dass es wieder zusammenfindet.
Dominik Müller: Ich gebe Ihnen Recht. Es fehlt in Europa oft an einer gemeinsamen Stimme. Allerdings war es gar nicht schlecht, dass sich Europa in einzelne, kleinere Zellen aufgeteilt hat, um die Krise einfacher zu bewältigen. Wichtig ist, dass Europa mit einer einheitlichen Stimme auftritt, wenn es um globale Themen geht. In den USA ist dies nicht der Fall. Das Resultat sehen wir momentan an den hohen Coronazahlen.
Urs Brunner: Nun steht Europa wieder vor einer neuen Herausforderung mit dem Aufbaufonds. Dass sich der Norden gezwungen sieht, den Süden zu finanzieren, ist ein Dauerthema. Es gab aber immer wieder schwierige Momente, in denen sich Europa zusammengerafft hat, um den Zusammenhalt zu stärken.
Was bedeutet dies für Sie als Unternehmer?
Martin Folini: Wir diskutieren verschiedene Wirtschafts-Szenarien in den Verwaltungsräten. Was bedeutet dies für die Entwicklung der Währung, in der bilanziert wird? Wie stellen wir das Unternehmen auf? Welche Regionen/Länder beliefern wir, welches sind die Zulieferer? Wir arbeiten mit einem Plan B und schauen, ob sich Investitionen auch unter Plan B lohnen. COVID-19 ist ein Auslöser, um verschiedene Beschaffungsmärkten und Logistikwege zu prüfen. COVID-19 hatte aber auch noch einen weiteren Effekt: Wir haben Schlüsselleute aus einem bestimmten Land für gewisse Bereiche. Diese konnten ihrer Arbeit plötzlich nicht mehr nachgehen. Sei es, weil sie sich entweder in diesen Ländern nicht mehr wohlfühlten oder nicht einreisen konnten.
«Wir arbeiten mit einem Plan B und schauen, ob sich Investitionen auch unter Plan B lohnen.»
Stéphane Bloch: COVID-19 führt zu einem Wegbrechen gewisser Geschäftsbereich, wie zum Beispiel von Grossveranstaltungen. Wie sollen diese und ihre Zulieferer überleben? Auch die Bekleidungsindustrie hat stark unter dem Lockdown und den damit verbundenen logistischen Herausforderungen gelitten. Heute deckt sich ein Grossteil der Kleiderindustrie in China ein. Daran kurzfristig etwas zu ändern, ist schwierig. Denn wir haben weder das Know-how, noch können wir aus Kostengründen einfach so auf einen anderen Markt ausweichen. Um eine nachhaltige, effektive Lieferkette sicherzustellen, müssten zwangsläufig alternative Lieferketten, weg von China, aufgebaut werden. Den Weg, den die Branche dazu zu bewältigen hat, ist steinig und lang.
Nachhaltigkeit
Hat COVID-19 Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit?
Stéphane Bloch: Ich sehe verschiedene Tendenzen, einerseits geht der Konsum zurück, die Lust an Überkonsum nimmt ab. Andererseits kann es gut sein, dass die grosse Masse eher auf günstige Produkte zurückgreift, was nicht unbedingt gut für die Nachhaltigkeit ist. Dies hat einen Einfluss auf die Produktion und macht die Planung schwierig.
Martin Folini: Die Bekleidungsindustrie lebt von den «nicht getragenen» Kleidern. Wenn die 40 % produzierten, aber ungetragenen Kleider wegfallen würden, wäre dies toll aus Sicht Nachhaltigkeit, aber die Kleiderindustrie hätte dann ein grosses Problem. In den USA wird sich ein Grossteil der Konsumenten weiterhin nicht um Nachhaltigkeitsaspekte kümmern. Leider wird sich dies eher verstärken, da die schnelle wirtschaftliche Erholung prioritär sein wird. Daraus ergibt sich aus meiner Sicht eine Chance für Europa, das auf nachhaltige Technologien setzt. Konjunkturmassnahmen müssten in diese Richtung gelenkt werden. Ich fürchte allerdings, dass der wirtschaftliche Druck der Strasse auch in Europa den Nachhaltigkeitsbestrebungen einen Dämpfer versetzen könnte.
Dominik Müller: Ich sehe auch ein Auseinanderdriften der verschiedenen Regionen, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Allerdings fallen wir Menschen wieder relativ schnell in den «courrant normal» zurück. Das heisst für die Nachhaltigkeit, dass diese durch die Staaten gesteuert werden muss. Hier sehe ich in Europa andere Tendenzen, als in den USA oder anderen Regionen auf der Welt.
«Nachhaltigkeit muss durch die Staaten gesteuert werden.»
Martin Folini: Ich möchte noch auf einen weiteren Trend hinweisen: die innerbetriebliche Kultur und den Kulturwandel. In unseren Betrieben sprechen wir aktiv über Nachhaltigkeit und tun auch viele Dinge. So haben wir beispielsweise in Indien ein Werk mit Solarpanels zum Netto-Stromproduzenten aufgerüstet, auch wenn sich dies finanziell noch nicht lohnt. Wir sind überzeugt, dass sich dies insbesondere auf die Anziehungskraft und Retention von jungen Leuten auswirkt. Diese schauen sich zunehmend sehr genau an, für wen sie arbeiten wollen.
Stéphane Bloch: Es ist paradox, der Konsument will immer mehr über die Produkte, die er konsumiert, wissen. Unternehmen müssen immer mehr Rechenschaft ablegen. Die Befriedigung dieses Bedürfnisses führt in den Unternehmen zu hohen Kosten und verteuert die Güter. Auf der anderen Seite möchten viele noch günstigere Produkten. Wie können wir mit diesem Paradox umgehen? Wir müssen noch innovativer werden.
Martin Folini: Ich glaube, hier hat die Schweiz als Innovationsführer gute Chancen. Für Europa könnten die Stimulationsprogramme, sofern diese die Nachhaltigkeit berücksichtigen, den Boden bilden für wirtschaftliche Veränderung und dadurch den nächsten wirtschaftlichen Zyklus bestimmen. Ein anderer Punkt ist das Vertrauen in ein Produkt. Auch hier könnte die Nachhaltigkeit eine neue Bedeutung gewinnen, indem der Kunde bereit ist, dafür mehr zu bezahlen. Ich denke hier insbesondere an Lebensmittel zum Beispiel an Babynahrung, Fleisch, Mineralwasser etc.
Ist Produktqualität etwas, das langfristig immer wichtiger wird oder geht sie unter, weil wir es uns nicht leisten können?
Stéphane Bloch: Ich glaube, es geht hier weniger um die Bereitschaft mehr zu bezahlen, als um das «Müssen». Der Konsument wird künftig mehr bezahlen müssen für die Güter seines Vertrauens, da führt kein Weg daran vorbei. Unternehmen können sich mit nachhaltigen Modellen profilieren, zum Beispiel kann der Konsument heute nachprüfen, wer die Zulieferer sind, die Produktionsmethoden sind transparent und die Logistik ist nachhaltig gestaltet. So schafft man es, das Vertrauen der Kundschaft zu gewinnen und die Gunst der Gesellschaft auf seine Seite zu ziehen. Diese Themen sind für mich als Unternehmer und Berater im Bereich der Nachhaltigkeit sehr relevant.
Martin Folini: Es wird immer die 10 % der Bevölkerung geben, die es sich leisten können und bereit sind, für Qualität und Nachhaltigkeit mehr zu bezahlen. Global gesehen ist dies für sich schon ein riesiger und allenfalls trendsettender Markt.
Dominik Müller: Das Produkt des Vertrauens in hoher Qualität geht nicht automatisch mit Nachhaltigkeit einher. Ich denke hier z.B. an Evian Wasser, das ich in einem indischen Hotel trinke. Damit wir Nachhaltigkeit stärker leben können, braucht es klare Vorgaben der Staaten. Und hier stellt sich die Frage, wer schliesslich wirklich davon profitiert. Ich denke an Solar- und Wind-Energie, wo gerade Deutschland viel Geld investiert hat und dies aber nicht funktioniert. Das heisst, es besteht das Risiko, dass z.B. bei der Wasserstoff-Förderung der deutsche Steuerzahler zwar viel bezahlt, die Wertschöpfungskette jedoch dann an einem anderen Ort stattfindet. Schauen wir zum Beispiel noch Tesla an: Tesla ist unter dem Nachhaltigkeitstrend momentan sehr beliebt unter Investoren. Glencore auf der anderen Seite, das das Kobalt für die Tesla Akkus aus dem Boden holt, würde niemand als «nachhaltig» bezeichnen. Wir haben es hier also mit einem weiteren Paradox zu tun: Produkte, auch wenn sie nachhaltig aussehen, sind dies nicht unbedingt.
«Produkte, auch wenn sie nachhaltig aussehen, sind dies nicht unbedingt.»
Unternehmung
Welches sind die Trends, die Sie als Unternehmer oder Berater verfolgen?
Stéphane Bloch: Grundsätzlich sind die Herausforderungen dieselben, wie vor der Krise. Ich sehe zwei Trends: Einerseits werden wir post COVID-19 die Prädominanz von China überdenken. Dies in verschiedenen Bereichen, wo China zu marktbestimmend geworden ist. Andererseits sehe ich den Trend zur Nachhaltigkeit gestärkt. Es werden neue, innovative Wege gesucht, neue Marktfelder werden sich öffnen und die Unternehmen werden die Wertschöpfungsketten und die Arbeitsprozesse anpassen. Die Unternehmen werden zu ihren Mitarbeitenden und generell zu den Ressourcen besser Sorge tragen müssen. Diese zwei Trends verfolge ich sehr eng in meiner Beratungstätigkeit. Vertraute Produkte von Unternehmen, die auf Qualität achten und die ihre Produkte nicht dauernd aus Kostengründen optimieren, werden hoch angesehen und erfolgreich sein.
Martin Folini: Die offensichtlichste Änderung in unseren Unternehmen ist sicher das neue Verständnis für den Einsatz von Zoom/Teams/Skype etc.. Wir hatten diese Tools zwar immer, COVID-19 hat jedoch gezeigt, dass man diese sehr sinnvoll breit einsetzen kann. Dies führt zum Beispiel zu einem anderen Verständnis bezüglich Geschäftsreisen. Auch die Risikobeurteilung wird ergänzt werden z.B. durch Stichworte wie Pandemie, Home Office und Cyber Security. Ein dritter Bereich ist die Verletzlichkeit der Sourcing Märkte und die Verletzlichkeit der Transportwege. Hier stellt sich bei uns die Frage nach alternativen Transportkanälen. Wir suchen Partner ausserhalb Chinas und den USA, nicht nur wegen COVID-19, sondern auch wegen den zunehmenden Spannungen zwischen den zwei Grossmächten. Interessant zu verfolgen ist die Frage der Sharing Economy. Diese hat einen enormen Rückschlag erlitten. Ich denke z.B. an Uber, Airbnb, shared office spaces. Einige werden von COVID-19 profitieren können, andere gehen unter.
Gesellschaft
Die gesellschaftlichen Veränderungen wurden bereits mehrfach erwähnt. Wo sehen Sie hier die grossen Herausforderungen?
Stéphane Bloch: Eine Frage beschäftigt mich stark: Wohin führt das Social Distancing? Was passiert, wenn wir mit den Leuten nicht mehr wie früher interagieren können? Früher gab man sich die Hand, man ging sozusagen auf «Tuchfühlung», was ein wichtiger Bestandteil unserer Interaktionskultur ist. Dies könnte nach COVID-19 wegfallen.
Martin Folini: Es wird vorübergehend eine Zwei-Klassen-Gesellschaft geben zwischen Ländern, die Corona im Griff haben und solchen, die dies nicht tun. Zum Beispiel werden Sommerferien im Ausland für schwedische Bürger in diesem Jahr schwierig sein.
Stéphane Bloch: 95 % meines Umfeldes verbringt die Ferien in der Schweiz. Dadurch werden sich verschiedene Industrien neu erfinden müssen.
Dominik Müller: Ich sehe Ihren Punkt und wir teilen diesen. Die gesellschaftlichen Konsequenzen aus der Coronakrise werden einen nachhaltigen Abdruck hinterlassen. Wenn in einem Jahr gute Impfstoffe verfügbar sind, stellt sich einerseits die Frage nach der «gerechten» Verteilung, andererseits gehe ich davon aus, dass sich dadurch die Wirtschaft schneller erholen wird, als wir heute erwarten.
Stéphane Bloch: Da bin ich mir nicht so sicher, auch wenn wir schnell ein Vakzin entwickeln können. Es fehlt das Vertrauen der Bevölkerung. Diese ist stark verunsichert. Wir wissen zu wenig über das Virus und es gibt viele widersprüchliche Studien. Für viele ist es schwierig an vertrauenswürdige Informationen zu gelangen. Fachspezialisten können sich ein Bild davon machen, die breite Bevölkerung nicht. Auch dieser Sachverhalt führt zu einer Kluft in der Gesellschaft.
«Die Bevölkerung ist stark verunsichert.»
Martin Folini: Der Mensch vergisst schnell. Sobald es eine Impfung gibt, wird sich das Wirtschaftswachstum beschleunigen. Zuerst müsste aber die Konsumlust und Kaufkraft zurückkehren und die Gelder nicht im Kapitalmarkt versinken. Wir müssen aber betreffend Wirtschaft und Wohlstand bedenken, dass die Entwicklung nicht in allen Regionen gleich sein wird. Nicht alle Länder haben die gleichen Auffangnetze wie die Schweiz. Ich denke hier an die USA mit mehr als 40 Mio. Arbeitslosen oder Indien und Brasilien.
Stéphane Bloch: Ich verfolge diese Situation auch sehr genau, glaube aber, dass sich die Schweiz aufgrund ihrer grossen Abhängigkeit vom Ausland dieser Entwicklung nicht ganz entziehen kann.
Urs Brunner: Dies sieht man sehr gut anhand der Sparrate, die z.B. in den USA mit 20 % so hoch liegt wie zuletzt während des Zweiten Weltkrieges. Eine grössere Bremswirkung auf das Wirtschaftswachstum geht aber von den Investitionen aus. Dazu kommt die von den Notenbanken finanzierte höhere Staatsverschuldung, die durch eine restriktivere Fiskalpolitik oder eine höhere Inflation berappt werden muss. Die Notenbanken haben sich in eine Situation manövriert, aus der es kaum einen Ausweg gibt.
Familienunternehmen
Wenn ich Ihnen zuhöre, so stelle ich fest: Werte wie Vertrauen, langfristiges Denken und Qualität sind wichtig. Werte, die für Familienunternehmen stehen. Darf man daraus schliessen, dass COVID-19 zu einer Rückbesinnung zu den Wurzeln der Familienunternehmen geführt hat und diese damit gestärkt aus der Krise hervorgehen?
Stéphane Bloch: Ich glaube, der Wert der Familienunternehmen ist unbestritten und wird es auch in Zukunft sein. Vielleicht unterstützt COVID-19 das Vertrauen in Familienunternehmen sogar zusätzlich.
Martin Folini: Das langfristige Denken könnte tatsächlich den Familienunternehmen helfen, einfacher aus der Krise zu kommen. Hier sehe ich auch Chancen, insbesondere aus M&A Sicht, wo man die tieferen Bewertungen als Gelegenheit zur Expansion nutzen kann.
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