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Wenn Biden und die Demokraten die US-Wahlen gewinnen

Am 3. November 2020 wählen die USA nicht nur ihren Präsi­denten. Das Duell um das Weisse Haus steht im Zentrum, gleich­zeitig werden aber auch alle Abgeord­neten des Reprä­sen­tan­ten­hauses und rund ein Drittel der Senatoren gewählt. Der Handlungs­spielraum des Präsi­denten wird wesentlich von der Konstel­lation im Kongress bestimmt. Bei einem weiterhin gespal­tenen Kongress werden die beiden grossen Parteien kaum von ihrem Konfron­ta­ti­onskurs abkommen.

Was sagen die Umfragen?

Wenn man den einschlä­gigen Umfragen Glauben schenken will, hat der Heraus­for­derer Biden seit Mitte Jahr einen recht komfor­tablen Vorsprung von sechs bis acht Prozent. Im Vergleich zu 2016 zeigt sich auch eine erhöhte Konstanz in den Umfragen. Während Trump damals seinen Rückstand regel­mässig verkleinern und Hillary Clinton teilweise überholen konnte, ist Bidens Vorsprung seit Mitte 2020 stabil. Auch wenn immer wieder kolpor­tiert wird, dass die Umfragen überhaupt nicht reprä­sen­tativ seien, zeigt die Geschichte, dass kein amtie­render US-Präsident mit einem ähnlich hohen Rückstand wieder­ge­wählt worden ist. Entschieden wird das Rennen aber in den wichtigen Swing States. Hier ist das Bild weniger aussa­ge­kräftig: Zwar weist Biden in den meisten Staaten einen Vorsprung auf, der aller­dings bescheiden ist und in wichtigen Bundes­staaten wie in Florida und Pennsyl­vania ist sein Vorsprung in den letzten Monaten gesunken. Für Biden spricht eine erhöhte Wahlbe­tei­ligung der jungen Generation, die sich in der Umwelt- und Sozial­po­litik stärker engagiert. Biden hat überdies einen besseren Draht zu Minder­heiten und ist im Unter­schied zu Hillary Clinton für viele Gruppie­rungen wählbar. Last but not least gilt es zu bedenken, dass sämtliche amtie­renden US-Präsi­denten der letzten 100 Jahre in Krisen­jahren nicht wieder­ge­wählt wurden.

Umfragen zu den US-Wahlen im November 2020

Wahlumfragen in den Swing States

Wie präsen­tiert sich die Situation im Senat?

Eine grosse Tragweite hat aber auch der Wahlausgang im Senat. Weil die Senatoren in den Abstim­mungen der Partei­linie in der Regel treu bleiben und für die Verab­schiedung von Gesetzen 60 Stimmen erfor­derlich sind, entscheidet der Senat oft darüber, welche Gesetze im Plenum verab­schiedet werden. Auch im Rennen um die Mehrheit im Senat ist ein knapper Ausgang zu erwarten. Von den 35 zur Wahl stehenden Sitzen müssen die Republi­kaner 23 vertei­digen, die Demokraten nur deren 12. Für eine Mehrheit müssten letztere ihre Sitze vertei­digen und drei oder vier Sitze der Republi­kaner dazuge­winnen. Umfragen zum Wahlausgang im Senat gibt es zwar nicht, die aktuellen Wettquoten sprechen jedoch eher für eine Mehrheit der Demokraten.

Höhere Steuern — das Schreck­ge­spenst der Wallstreet

Die Steuer­po­litik ist für die Märkte von grosser Bedeutung. Die Verab­schiedung der Steuer­reform im Jahre 2017 führte zu einer Senkung des effek­tiven Steuer­satzes von 26 % auf 18 %. Aktien mit den höchsten effek­tiven Steuer­sätzen schnitten nach der Steuer­reform im Jahre 2017 besser ab als jene der Konkur­renten im Niedrig­steu­er­be­reich. Die Steuer­reform führte zu einem Anstieg der Gewinne im S&P 500 von 12–14 %. Biden hat weitrei­chende Steuer­än­de­rungen vorge­schlagen, welche den Grenz­steu­ersatz für Unter­nehmen und die Einkom­men­steuern für Spitzen­ver­diener erhöhen würden. Seine Vorschläge würden die Steuer­sen­kungen, welche die Trump-Adminis­tration 2017 in Kraft gesetzt hat, mindestens teilweise rückgängig machen. In den Augen der Wallstreet dürfte die Steuer­po­litik unter einer Biden-Adminis­tration zu den grössten Sorgen zählen. Es ist aber davon auszu­gehen, dass die Demokraten im Umfeld hoher Arbeits­lo­sigkeit das Steuer­regime nicht sofort und stark verschärfen würden.

Healthcare als Verlierer

In der Vorwahl der Demokraten setzte sich Biden nicht für radikale Vorschläge zur Umgestaltung des US-Gesund­heits­systems ein. Statt­dessen schlug er vor, den unter Präsident Obama verab­schie­deten Affordable Care Act (ACA) zu erweitern und zu verlängern. Der Fussab­druck der Regierung würde sich vergrössern, das derzeitige Flickwerk aus Regie­rungs­pro­grammen und arbeit­ge­ber­fi­nan­zierter Versi­cherung bliebe aber bestehen. Bidens Plan konzen­triert sich auf zwei Haupt­vor­schläge zur Ausweitung der Kranken­ver­si­cherung. Erstens sollen privat Versi­cherte die Möglichkeit erhalten, Verträge mit einer staat­lichen Versi­cherung abzuschliessen. Zweitens soll es höhere Abzüge für Haushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen geben, die keinen Versi­che­rungs­schutz durch den Arbeit­geber erhalten. Beide Parteien beabsich­tigen, die Preise verschrei­bungs­pflich­tiger Medika­mente stärker zu regulieren, wobei die Vorschläge der Demokraten, weiter­gehen. Unter Biden soll Medicare die Preise direkt mit der Branche verhandeln können, was deutlich höhere Preis­ra­batte zur Folge hätte. Einschneidend dürfte dieses Vorhaben für die Pharma­un­ter­nehmen mit starkem Exposure in den USA haben. Wallstreet hat sich aber mindestens teilweise auf den politi­schen Druck einge­stellt, zumal der Sektor nach der schlep­penden Entwicklung in den letzten Monaten einen hohen Bewer­tungs­ab­schlag aufweist.

Mehr Multi­la­te­ra­lismus in der Aussenpolitik

Als neuer Präsident würde Biden vermutlich einen Grossteil des früheren aussen­po­li­ti­schen Teams einsetzen, das unter Barack Obama auf multi­la­terale Ansätze bei der Bewäl­tigung inter­na­tio­naler Probleme gesetzt hat. Der Wieder­ein­tritt in inter­na­tionale Organi­sa­tionen und Abkommen, die von der Trump-Adminis­tration gekündigt wurden, dürfte zur Debatte stehen. Weil die allge­meine antichi­ne­sische Stimmung sowohl im Kongress als auch in der Öffent­lichkeit nach wie vor weit verbreitet ist, dürfte Biden an der gegen Festland­china gerich­teten Handels- und Sicher­heits­po­litik festhalten. Dabei dürfte er aber versuchen, eine inter­na­tionale Koalition gegen China zu bilden. Auch wenn Biden frühere grössere Militär­ein­sätze wie den Irak-Krieg 2003 unter­stützte hat, dürfte es für künftige Einsätze schwierig sein, die Unter­stützung der Öffent­lichkeit zu gewinnen.

Grosse Unter­nehmen kaum beein­trächtigt vom höheren Mindestlohn

Im Jahre 2019 wurden 82 Mio. oder knapp 60% aller Arbeit­nehmer im Stunden­ansatz entlöhnt. Von diesen Arbeit­nehmern verdienten rund 400’000 exakt den geltenden Mindestlohn des Bundes von USD 7.25. Aufgrund von Ausnahmen (z.B. Mitar­bei­tende mit Trink­geldern, Studenten oder Arbeit­neh­mende mit Behin­de­rungen) liegen die Stunden­löhne von 1.2 Mio. Angestellten unter dem Mindestlohn. Studien gehen davon aus, dass im Zuge einer Anhebung des Mindest­lohns auf USD 15 die Löhne von 17 Mio. Angestellten steigen und zwischen einer und drei Mio. Jobs verloren gehen würden. Die Einführung eines Mindest­lohns würde arbeits­in­tensive Sektoren wie den Detail­handel oder die Hotel­lerie beein­träch­tigen, während der Einfluss auf die grossen inter­na­tional tätigen Unter­nehmen marginal wäre.

Umwelt und Infra­struktur — Wind und Solar­energie im Aufwind

Biden schlägt einen Vierjah­resplan im Umfang von USD 2 Bio. vor, um in Infra­struktur und saubere Energie zu inves­tieren sowie die CO2-Emissionen des Elektri­zi­täts­sektors bis 2035 zu elimi­nieren. Die Förder­pror­gramme dürften ein Inves­ti­ti­ons­vo­lumen von über USD 4 Bio. auslösen. Profi­tieren davon würden insbe­sondere die erneu­er­baren Energien. Im Jahr 2019 überstieg der jährliche Energie­ver­brauch der USA aus erneu­er­baren Quellen zum ersten Mal den Kohle­ver­brauch. Dieses Ergebnis spiegelt vor allem den anhal­tenden Rückgang des Kohle­ver­brauchs für die Strom­erzeugung in den letzten zehn Jahren und das Wachstum der erneu­er­baren Energien. Die Wind- und Solar­energie könnte unter Biden einen starken Aufschwung verzeichnen. Zu den grossen Verlierern würden die Fracking-Unter­nehmen zählen, die ihre Aktivi­täten unter einer demokra­ti­schen Mehrheit einstellen müssten. Die globale Politik gegen den Klima­wandel könnte mit der Unter­stützung der USA einen neuen Stellenwert erhalten.

Und wenn Trump verliert und nicht abtreten will?

Seit Monaten bereitet Trump mit Attacken gegen das Briefwahl-Verfahren das Terrain für eine Anfechtung eines Wahlsieges Bidens vor. Trump rechnet damit, dass mehr Brief­wahl­stimmen für Biden als für ihn abgegeben werden. Diese These wird u.a. durch die Beobachtung gestützt, dass wichtige Teile der demokra­ti­schen Wähler, namentlich Akade­miker und Randgruppen, die Briefwahl stärker nutzen als in den vergan­genen Jahren. Weil in den meisten Bundes­staaten zuerst die im Wahllokal abgege­benen Stimmen ausge­zählt und bekannt­ge­geben werden, könnte von den Medien zunächst ein deutlicher Vorsprung des Amtsin­habers verkündet werden. Die Auszählung der Brief­wahl­stimmen nimmt viel Zeit in Anspruch. Wenn vor allem Demokraten diesen Weg der Stimm­abgabe wählen sollten, könnten die am Wahlabend gezeigten Trends nach zwei bis drei Tagen drehen. Wenn Trump in der Folge ein vermutlich knappes Ergebnis nicht akzep­tieren würde, könnte ein chaoti­scher Zustand entstehen, aus dem es keinen einfachen Ausweg gäbe. Zweifellos würde ein solcher Zustand die Nerven der Inves­toren strapa­zieren. Die Options­preise haben begonnen, ein solches Szenario einzu­preisen: So wider­spiegeln die impli­ziten Options­preise die Erwartung einer längeren Periode mit erhöhter Volati­lität, die am Wahltag beginnt und sich danach über Monate hinzieht.

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