Im Januar 2021 wird bei Sotheby’s in New York eines der letzten sich in Privatbesitz befindenden Renaissance Werke Sandro Botticellis versteigert. Der darin portraitierte Jüngling erzählt der Welt die Geschichte einer Bankiersfamilie, die Florenz und ganz Europa zwischen dem 14. und 18. Jahrhundert prägte. Die Geschichte der Medici liest sich in vielen Bereichen ähnlich wie jene von Rahn+Bodmer Co. – die 1750 in Zürich ihren Anfang fand und noch heute erzählt wird.
Wissend und mit einem Hauch von Arroganz, schaut uns ein junger Mann mit blonden Locken und klaren, blauen Augen aus seinem Rahmen heraus an. Sein Blick gleicht einem Fenster in eine weit zurückliegende Zeit; mit einem Hauch des Bewusstseins über die eigene Präsenz in der Gegenwart. Das Gemälde ist ein Spiel mit Perspektiven und Formen, das den Betrachter Teil des Werkes werden lässt, ein Handwerk, das Sandro Botticelli bestens beherrschte. Das von ihm erschaffene Portrait des «Young Man Holding a Roundel» (zwischen 1470–80), ist eines der letzten seiner Werke in Privatbesitz und das Kronjuwel der Alte Meister Auktion von Sotheby’s im kommenden Januar 2021. Der Schätzwert des Bildes liegt bei rund USD 80 Millionen. Das mag sich schwindelerregend anhören, scheint in Anbetracht des im 2018 versteigerten Salvador Mundi’s von Leonardo Da Vinci, der für USD 450 Millionen den Besitzer wechselte, keine Absurdität darzustellen.
Förderer von Kunst und Wissenschaft
Doch wer ist dieser junge Mann, der die Welt durch seinen Blick in den Bann zieht? Ähnlich wie bei der Mona Lisa ranken sich darum die Gerüchte. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich um Lorenzo «der Prächtige» de’ Medici einem Urenkel Giovanni di Bicci de’ Medicis, dem Gründer der Medici-Bank und Ursprung einer der wichtigsten Bankier-Dynastien Europas. Die Darstellung der Medici-Familie im Werk eines Renaissance Künstlers aus dem 15. Jahrhundert ist kein Zufall: Die Familie galt über Generationen hinweg als die wichtigste Mäzenin der florentinischen Kunst und Kultur. So unterstützten die Medicis Künstler wie Brunelleschi, Botticelli, da Vinci, Michelangelo, Raphael oder Machiavelli und später, im 17. Jahrhundert, auch Wissenschaftler wie Galileo Galilei.
Aus Handelshäusern werden Banken
Die Geschichte der Familie Medici beginnt um 1390, rund 400 Jahre vor derjenigen von Rahn+Bodmer Co., als Giovanni di Bicci de’ Medici als Lehrling in den Wollhandel, beziehungsweise in die Bank eines fernen Verwandten einstieg. Kaufmännischer Handel und das Bankgeschäft liefen damals Hand in Hand. Die Lieferketten mit Transport, Herstellung und Verarbeitung unter den damaligen Umständen waren ebenso unsicher wie risikoreich. Vorschüsse oder Reserven, Transportversicherungen, überall einlösbare Wechselbriefe, doppelte Buchführung oder Einlagekonti dienten den damaligen Händlern als Mittel zur eigenen Absicherung, woraus aus vielen Handelshäusern Banken entstanden. 1750 war Rahn+Bodmer Co., oder damals noch die Gebrüder Schulthess, ein parallel mit Effekten und Wechseln arbeitendes Seidenhandelshaus, das 1855 auf das reine Bankgeschäft umsattelte. So wie Zürich heute eines der wichtigsten Finanzzentren Europas ist, bildete Florenz im 15. Jahrhundert, als unser blonde Jüngling über die Piazza Santo Spirito zu Brunelleschis Duomo Santa Maria del Fiore schlenderte, das Herz des Handels und der Banken.
Aufstieg und Untergang
Im 14. Jahrhundert lag die politische Macht der unabhängigen Stadtrepublik Florenz in den Händen wohlhabender Familien wie derjenigen der Medicis. Dank ihrer Position förderte die Familie über 360 Jahre hinweg die Entwicklung der Stadt am Arno als Zentrum der Kunst und des Wissens. In Zürich hingegen prägten seit dem 14. Jahrhundert die Zünfte den Fortgang der Stadt. Die Familie Rahn stellte viele Ratsmitglieder und auch drei Bürgermeister als Mitglied der Zunft zum Widder, die Familie Bodmer trat im 18. Jahrhundert der Zunft zur Meisen und die Familie Bidermann gehört seit dem 19. Jahrhundert zur Gesellschaft zur Constaffel. Die Familien der Partner von Rahn+Bodmer Co. haben so Zürich während Generationen mitgestaltet. Während Rahn+Bodmer Co. nicht nur die Französische Revolution sondern auch zwei Weltkriege, mehrere Wirtschaftskrisen oder Krisenjahre überstand – erlebten die Medicis Jahre zuvor Kriege, die Pest oder politische Machtverschiebungen. Erst familiäre Intrigen liessen die Bank schliesslich untergehen.
Lorenzo de’ Medici, wenn er es denn auch wirklich ist, gewährt uns durch die Hand Botticellis einen Blick in die Geschichte der Medici Familie — und ruft uns dadurch die Zeitlosigkeit unserer eigenen Geschichten ins Bewusstsein.
Weitere Beiträge von Hannah Halbheer