Die Geschichte von Botticellis Medici Jüngling wurde Ende Januar weitergeschrieben – ein unbekannter Sammler hat dessen Portrait via Telefon für $ 80 Mio. (ca. $ 92 Mio. inkl. Aufgeld) ersteigert. Doch wo seine Reise hinführen wird, ist noch ungewiss. Gerüchten zufolge findet er sein neues Zuhause in Russland und somit fernab seiner ursprünglichen Florentiner Heimat.
«Jetzt kennen wir den wahren Preis von Schönheit», kommentierte Georg Wachter, Co-Chairman der Abteilung Alte Meister von Sotheby’s, das Erreichen des zweithöchsten Preises für ein Gemälde eines alten Meisters. Auktionshäuser haben auf dem sekundären Markt eine preisbildende Rolle, ihre Spezialisten nehmen für die Auktionen Schätzungen vor und veröffentlichen diese. Sie sind es also, die den Preis für Schönheit — oder eben für solch ein Meisterwerk Botticellis – festlegen. Aber wie kommt jener «wahre» Wert für Schönheit zustande?
Klar zuordnungsbare Kriterien
Kunst widerspricht den normalen Regeln des Marktes für handelbare Güter. Nichtsdestotrotz gibt es bestimmte Parameter, nach denen sich Kunsthistoriker richten, wenn sie Schätzwerte festlegen. Obwohl sich der Wert von Kunst nicht in seiner Materialität manifestiert, stellt das Medium trotzdem einen Differenzierungsfaktor dar. Ölbilder werden in der Tendenz als wertvoller eingeschätzt als Aquarelle oder eine Gouache, die wiederum höhere Preise zu erzielen scheinen als Zeichnungen oder Druckgrafiken. Ist aber ein Künstler bekannt für ein bestimmtes Medium, wird dieses stärker gewichtet und die eben genannte Beobachtung wird obsolet. Der Zustand eines Werkes ist jedoch ein Bewertungskriterium, das sich zuverlässig anwenden lässt. Wasserflecken, vergilbte Oberflächen oder Insektenspuren drücken im Normallfall den Preis.
Kunsthistorische Relevanz
Das Entstehungsdatum spielt als Referenzpunkt im Sinne der kunsthistorischen Zuweisung des Werkes eine wichtige Rolle. Künstler durchleben unterschiedliche Phasen der künstlerischen Entwicklung, die in vielen Fällen am Ende der Karriere ihren Höhepunkt erfährt. Frühe Picassos lassen sich von jenen, welche diese Werke des Künstlers nicht kennen, kaum als solche identifizieren. Vielmehr scheint es, als hätte der wohl berühmteste Maler und Skulpteur aller Zeiten sich in seinem eigenen Können überholt und durch den Kubismus eine neue Form der Abstraktion erschaffen. In diesem Beispiel kommt allerdings eine weitere Komponente der künstlerischen Preisentwicklung zum Tragen: Jene frühen Werke der Blauen und Rosa Periode Picassos stellen eine derartige Seltenheit dar, dass sie wiederum die Masse an kubistischen Arbeiten preislich erreichen oder sogar auch übersteigen können. So wechselte der frühe «Garçon à la pipe» (1905) 2004 via Sotheby’s für $ 104 Mio. den Besitzer. Sechs Jahre später wurde bei Christie’s der kubistische Akt «Nu au plateau de sculpteur» (1932) für $ 106.5 Mio. verkauft.
Im Auge des Betrachters
Motive wie Landschaften, Blumen oder Menschen erfreuen sich grosser Beliebtheit, während religiöse Darstellungen immer weniger Anklang finden. Denn wer kann seinen Blick abwenden von Modiglianis Akten, die sich mit ihren geschwungenen Rundungen in satten Farben ihrem Betrachter lasziv und zugleich verspielt entgegen räkeln? Und wer möchte nicht manchmal aus dem Alltag in Van Goghs verträumte, warme Landschaften Südfrankreichs flüchten? Die Seerosen Monets oder die Farbkontraste Rothkos sind unverwechselbar. David Hockneys aktueller Preisrekord wurde mit einem Gemälde erreicht, das zwei Figuren an einem Pool zeigt. Die verwendeten Farbtöne rosa, grün und blau sind für den in Kalifornien ansässigen Künstler eine typische Komposition. Der Wiedererkennungswert stellt demnach ein weiterer Faktor dar, der ein Werk einerseits kunsthistorisch relevant macht und andererseits dadurch auch dessen Wert massgeblich beeinflussen kann.
Die Schöpfung durch die Hand des Künstlers
Als das Portrait des jungen Lorenzo 1982 das letzte Mal seinen Weg in eine Auktion fand, fiel der Hammer bereits bei $ 1.1 Mio. Dem Gemälde wurde damals nachgesagt, nicht von Sandro Botticelli selbst, sondern von seinem Zeitgenossen Francesco Botticini gemalt geworden zu sein. Originalitätsverheissung und direkte Zuweisung scheint ebenfalls ein Bewertungsfaktor zu sein. Aber auch hier gibt es Ausnahmen: Bei Leonardo Da Vincis «Salvator Mundi» ist auch heute noch nicht klar, ob das Universalgenie der Renaissance tatsächlich beim ganzen Bild selbst Hand angelegt hatte oder ob teils seine Studenten und Assistenten das Werk vervollständigten. So ranken sich Mythen und Gerüchte um ein historisches Meisterwerk, die dessen Popularität einen unendlichen Aufschwung verleihen. Letzten Endes ist es auch seine Geschichte, die ein Werk unbezahlbar machen kann.
Das Gütesiegel der Vergangenheit
Die Kunstwelt versteht unter dem Begriff Provenienz die Auflistung der vergangenen Besitzer eines Kunstwerks. Teil einer bedeutenden oder berühmten Sammlung zu sein, verleiht einem Werk Kredibilität und Sichtbarkeit – was die Nachfrage nach einem Werk und somit auch dessen Preisfindung massgeblich beeinflussen kann. Genauso wie die Ausstellungsvergangenheit in Museen und anderen Institutionen, die besagtes Werk bereits präsentiert haben. Botticellis Portrait Lorenzo di Medici’s hing beispielsweise in den vergangenen 50 Jahren in Institutionen wie der National Gallery of Art in Washington D.C. oder dem Metropolitan Museum in New York, einem der prestigeträchtigsten Museen der Welt.
Der Preis der Preislosigkeit
Aber auch wenn es verlockend sein mag, den Wert von Kunst an solch klaren und teils messbaren Kriterien festzumachen, ist nur bedingt möglich. Am Ende sind es oft weit komplexere und kaum fassbare Elemente, die hektische Bieterkriege und Rekordresultate in den Hallen von Auktionshäusern auslösen. Denn es ist die Preislosigkeit der Schönheit, die ihren Reiz ausmacht und dem Versuch ihrer Bewertung seine Faszination anhaften lässt.
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