Mit einer Gegenüberstellung der Werke Alexander Calders und Joan Miros eröffnete Hauser & Wirth 1992 in einer Wohnung in Zürich zum ersten Mal die Türen ihrer Galerie. Eine Galerie, die nun bald 30 Jahre später zu einer der grössten weltweit zählt und einige der bedeutendsten Künstler/innen und Estates der Kunstgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts vertritt.
Von: Hannah Halbheer
Leidenschaft und Herzblut für die Kunst liegen nicht nur in der DNA der Gründerfamilie, sondern ziehen sich durch die Galerie, die ihren Künstlern eine Plattform für deren Geschichte und Kontext sowie Gegenüberstellungen bietet und damit die Grenzen eines rein kommerziellen Geschäftsmodells sprengt. Weg von der reinen «White Cube-Philosophie» bieten Initiativen wie jene am Standort in Somerset oder Menorca eine teilweise museumsähnliche Umgebung, die auch Künstlern Ateliers zur Verfügung stellt.
Hannah Halbheer hat sich mit James Koch, Partner und Executive Director der Galerie Hauser & Wirth, über die Entwicklungen auf dem Kunstmarkt unterhalten.
James Koch, was gefällt Ihnen besonders an Ihrem Beruf?
Was mich an meiner Tätigkeit besonders fasziniert, sind die Begegnungen, Erlebnisse und der Austausch mit Künstler/innen und Sammler/innen. Gemeinsam teilen wir die Begeisterung, Leidenschaft und Interesse für die Kunst. Gleichzeitig bringt jeder seinen eigenen Hintergrund und seine «eigene Geschichte» mit, was ihn zur Kunst führte. Eine enorme persönliche Bereicherung für jeden, der mit der Kunst leidenschaftlich verbunden ist.
Wir sind eine global agierende Schweizer Galerie, die hauptsächlich mit lebenden, zeitgenössischen Künstlern arbeitet. Gleichzeitig sind wir sehr aktiv im Bereich der klassischen Moderne und Postmoderne, wobei wir zahlreiche Künstlernachlässe vertreten oder einfach enge Beziehungen zu den Nachkommen dieser Künstler pflegen. Als Beispiel dafür möchte ich Alexander Calder, Max Bill oder auch Pablo Picasso erwähnen, alles Künstler, die mich auch persönlich sehr begeistern. Mit ihnen bzw. deren Nachkommen konnten wir verschiedene einzigartige Ausstellungen realisieren.
Die Geschichte der Galerie ist eng mit der Sammlung der St. Gallerin Ursula Hauser verknüpft. Wie stark ist dieser Einfluss auf Ihr heutiges Künstlerportfolio?
Die Galerie wurde gemeinsam von Ursula Hauser mit Iwan und Manuela Wirth, der Tochter von Ursula Hauser, gegründet. Ursula Hauser ist heute nicht mehr im Tagesgeschäft involviert, aber in der Ausrichtung und Gestaltung der Galerie ist sie noch immer präsent. Über die letzten Jahrzehnte schuf Ursula Hauser eine sehr persönliche Sammlung, welche einen heute beeindruckenden Einblick in das Kunstschaffen der Meister/innen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bietet. Einen einzigartigen Schwerpunkt bildete dabei das Schaffen von Künstlerinnen. Die Ursprünge und Ausrichtung des Galerieprogramms waren und sind stark durch die Sammlerinteressen von Ursula Hauser geprägt. Die Geschichte zwischen der Galerie und Louise Bourgeois ist dafür beispielhaft.
Die Galerie hat Standorte in Zürich, Gstaad und St. Moritz. Was macht den Standort Schweiz so attraktiv?
Die Schweiz ist der geographische Ursprung der Galerie. Gleichzeitig hat die Schweiz in der Kunstwelt per se Bedeutung. Historisch erklärt sich dies mit dem humanistischen Gedankengut, bedeutenden Kunsthistorikern und früher Sammlertätigkeit. Noch heute ist die Schweiz das Zuhause grosser Sammlungen. Dazu kommt die «Art Basel», die ja in Basel ihren Ursprung hat und dort beheimatet ist. Ausserdem liegt die Schweiz im Zentrum Europas und ist entsprechend gut erreichbar. Heutzutage funktioniert der Kunstmarkt jedoch global. Den USA, und dabei vor allem New York, kommt dabei schon lange eine zentrale und bedeutende Rolle zu.
Seit einigen Jahren bauen Sie auch vermehrt den Standort Hong Kong auf.…
Die Welt ist global geworden und Asien ist auch im Kunstmarkt ein bedeutender Teilnehmer. In den 80er Jahren waren die wichtigsten asiatischen Sammler primär in Japan, heute im ganzen asiatischen Raum. Wir sehen in Asien grosses Potential. Eine äusserst interessierte, schnelle und kaufkräftige Gesellschaft, die sich sehr rasch in Themen vertiefen und Wissen aufbauen kann. Dies trifft sowohl auf den zeitgenössischen wie auch auf den Sekundärmarkt zu. Hong Kong als «die westlichste Stadt» in diesem asiatischen Umfeld ist nach wie vor das Zentrum der dortigen Kunstwelt.
Wie erklären Sie die Entwicklung von den teilweise enormen Preisen im Kunstmarkt?
Einzelne Medien berichten natürlich gerne von der «Spitze des Eisberges». Die Bedeutung und Wahrnehmung und damit auch der Preis eines Künstlers entwickelt sich aber auf verschiedenen Ebenen. Es braucht dazu eine 360-Grad-Betrachtung. Massgebend ist dabei die Tätigkeit der Galerie, welche den Künstler mit Ausstellungen und Publikationen bekannt macht und ihren Sammlern vorstellt und die Preisgestaltung mitbestimmt. Wir verfolgen dabei eine sehr langfristige Strategie. Wichtig ist sodann die Aufnahme des Schaffens eines Künstlers in Ausstellungen und Sammlungen von Museen, den Eingang in den kunsthistorischen Diskurs. Schliesslich ist die Entwicklung des Sekundärmarktes, d.h. wie verkauft sich das Werk des Künstlers weiter, von Bedeutung. Bei einer erfolgreichen Künstlerkarriere läuft dies Hand in Hand. Schliesslich gilt auch hier das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Ein Werk, oder vielmehr das Schaffen eines Künstlers, kann sehr begehrt werden, weil es zum Beispiel den Zeitgeist trifft oder eben über seine Zeit die Menschen bewegen kann. Das hat in der Regel entsprechend Einfluss auf den Preis.
Hauser & Wirth hat mit Standorten wie Somerset einen gewissen Ausbildungsauftrag. Das sind Züge der Aufgaben eines Museums. Nimmt Hauser & Wirth eine museumsähnliche Position ein?
Eine «Museumsposition» vielleicht nicht. Aber es hat alles auch mit dem Programm zu tun — den Künstlern, die von Anfang an durch uns vertreten waren. Unser Programm hat sich entsprechend mittel- bis langfristig entwickelt, weil einige Künstler darunter sind, die in der Kunstgeschichte ihren Platz gefunden haben. Es ist die Passion der Gründerfamilie, etwas Zusätzliches zu machen, das über den reinen Galerienbetrieb hinausgeht. Nicht nur für den Sammler, der sich ein solches Werk leisten kann, sondern für eine breite Öffentlichkeit. So investieren wir zum Beispiel viel in Ausbildungsprogramme zum Beispiel für Kinder oder Schulen. Gleichzeitig stellt Hauser & Wirth den/die Künstler/in in den Mittelpunkt. Er/sie soll in einem inspirierenden Umfeld arbeiten können, so eben auch in Somerset. Wir haben Künstlerstudios geschaffen, wo Künstler/innen aus der ganzen Welt für eine Weile bleiben und arbeiten. So wird es auch in Menorca sein, dem neusten Standort, der bald eröffnet wird. Das ist sowohl für jüngere als auch sehr etablierte Künstler, die alles haben und bereits gesehen haben, attraktiv. In ein Umfeld eingebettet zu sein, in welchem die Galerie dem Künstler etwas Aussergewöhnliches bietet.
Etablierte und international agierende Galerien stehen heute jungen und neuen Galerien und Galeristen gegenüber. Wie sehen Sie generell die heutige Galerienlandschaft und die Möglichkeiten, darin Fuss zu fassen?
Wenn man unsere Branche mit anderen vergleicht, ist die Kunstwelt sehr überschaubar. Man kennt sich und trifft sich auch in einem internationalen Kontext, insbesondere an den Messen. Es ist ein «überschaubarer Marktplatz» und das macht ihn auch attraktiv. Aber unabhängig davon, wie gross eine Galerie ist, ist es ist ein anspruchsvolles Geschäft. Es braucht Unternehmergeist und die entsprechende Energie und Neugier, um ein spannendes Künstlerprogramm aufzubauen, Ausstellungen zu organisieren und die Produktion von Werken zu unterstützen und zu ermöglichen. Das vergisst man oft. Aber wie in jedem Markt ist es wichtig, dass es verschiedene Akteure unterschiedlicher Grösse und Ausrichtung gibt. Das belebt das Geschäft!
Viele Galerien werden auch heute noch von ihren Gründern (und Namensgebern) geführt – einzelne von der zweiten, selten von der dritten Generation. Unser Geschäft ist sehr Personen bezogen. Es etablieren sich immer wieder neue Galerien und es entsteht dabei Neues — das macht unsere Tätigkeit so attraktiv.
Hauser & Wirth hat vor rund eineinhalb Jahren ArtLab gegründet. Was genau beinhaltet diese Idee?
Wir haben rechtzeitig erkannt, dass Digitalisierung auch in der Kunst ein grosses Thema sein wird bzw. ist. Seit bald zehn Jahren sind wir aktiv in diesem Bereich und «Digital Storytelling» ist ein wichtiger Bestandteil unserer Strategie. Im Zuge der Pandemie haben wir diese Aktivitäten noch weiter verstärkt und die digitale Komponente ist bei allen Projekten Teil unserer Überlegungen. Mit der Gründung von ArtLAB im Jahre 2020 (noch vor der Pandemie) haben wir begonnen «Virtual Reality» und «Augmented Reality» zu erforschen und umzusetzen. Diese Techniken ermöglichen Sammlern beispielsweise aus der Ferne in ein Werk zu zoomen oder in ihrem eigenen Zuhause ein Bild virtuell zu hängen und zu betrachten.
Digitalisierung ist ein Thema, das in der Kunstwelt erst im letzten Jahr wirklich aktuell wurde. Plötzlich gibt es Online Viewing Rooms oder Virtual Reality Ausstellungen. Wie sehen Sie die Zukunft einer digitalisierten Kunstszene?
Das ist auf jeden Fall ein zentrales Thema. Nur schon deshalb, weil eine nächste und übernächste Generation, wie wir selber ja auch schon, es sich gewohnt ist, sich in einer digitalen Welt zu bewegen. Online kann eine Werkbetrachtung beispielsweise mit einem Film, Essays, Fotos aus dem Studio oder einem Interview mit dem Künstler begleitet werden. Auch das Nachhaltigkeitsbewusstsein ist stärker geworden, man reist in Zukunft wohl weniger und bewusster.
Auch die Online Version der Art Basel und anderer Messen sind erfreulich gut gelaufen. Für eine grosse Galerie wie unsere sind Messen natürlich immer noch wichtig, aber wir sind nicht abhängig davon. Gleichzeitig sind sie wichtig für die Begegnung und den Austausch mit Sammlern, Kuratoren und Kollegen. Durch unsere diversen Standorte sind wir aber das ganze Jahr international präsent.
Wir Menschen haben das Bedürfnis uns zu bewegen und zu reisen, Neues zu sehen und sich mit anderen auszutauschen. Deshalb wird es in Zukunft wohl beides geben: physische Ausstellungen und Messen sowie digitale Optionen. In diesem Bereich gibt es eine grosse Dynamik, die noch lange nicht abgeschlossen ist.
Sehen Sie gerade bei Ihren Kunden eine Art Generationenwechsel?
Wir sehen keinen Generationenwechsel, sondern vielmehr eine Erweiterung auf eine «nächste Generation». Es kommen neue, teilweise sehr junge Sammler dazu. Interessierte und engagierte junge Menschen, welche den Wert der Kunst früh erkennen und Inspiration, oder Parallelen zu ihrer Tätigkeit, darin finden. «Gute Kunst» will etwas vermitteln, hat eine Aussage, eine Bedeutung. Jenny Holzer thematisiert in ihren ikonischen «Truisms» seit den 70er Jahren zum Beispiel Liebe, Gleichberechtigung, Zusammengehörigkeit, Herkunft, Unterdrückung oder Sexualität. Alles Themen, die generationenübergreifend bewegen und Gültigkeit haben.
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