Von: Dominik Müller, Finanzanalyst
Milliarden von künstlichen Ohren, Augen, Nasen und anderen Sensoren erfassen heute rund um die Uhr und den Globus alle möglichen Daten: Technische, umweltrelevante, medizinische, persönliche. Dahinter stehen faszinierende Technologien, die viele Prozesse vereinfachen und kontrollierbarer machen. Daten sind bekanntlich Macht. Kein Wunder, wächst der Sensormarkt nach wie vor überdurchschnittlich.
Die Natur ist Vorbild
200’000’000 — eine gigantische Zahl. Nein, es geht hier nicht um Staatsausgaben oder Corona-Fälle. 200 Millionen Riechzellen besitzt ein Hund in seiner Nase, vierzigmal mehr als der Mensch. Damit können die Vierbeiner einzelne Moleküle in der Luft aufspüren oder einen einzigen Tropfen einer Substanz, verdünnt in zwanzig olympischen Schwimmbecken, wie es ein Forscher in der Zeitschrift «Frontiers in Veterinary Science» vorrechnete. Kein Wunder sind Hunde äusserst zuverlässig im Lawinenrettungsdienst, bei der Trüffel‑, Drogen- und Sprengstoffsuche und sogar bei der Erkennung menschlicher Emotionen und Krankheiten anhand der Atemluft oder Ausdünstung. Was für den Hund sein Riecher, ist für den Adler bekanntlich sein Auge. Eine Million Lichtrezeptoren pro Auge und fünf sogenannte Zapfentypen sorgen dafür, dass der König der Lüfte seine Beute aus drei Kilometern Entfernung erspähen kann und dies in einem übermenschlichen Farbspektrum, das auch ins Ultraviolette reicht. Ausserdem errechnet sein Gehirn daraus 150 Bilder pro Sekunde, womit ein Adler sechsmal «schneller» sieht als ein Mensch.
Tiere mit unmenschlichen Sensorien
Zugvögel, gewisse Ameisen oder Meeresschildkröten fühlen das magnetische Feld der Erde und nutzen es zur Orientierung. Einige Hai- und Rochenarten oder auch das australische Schnabeltier verfügen beim Jagen über die Fähigkeit, Veränderungen elektrischer Felder zu spüren, welche von ihrer Beute ausgehen. Schweinswale und Fledermäuse wiederum orten ihre Beute mithilfe von Ultraschall. Ziegen am Ätna suchen den sicheren Unterschlupf jeweils einige Stunden vor dem Ausbruch auf, weil sie kleinste Erschütterungen zu spüren vermögen. Die Natur hat eine Fülle von hochentwickelten Sensoren vorzuweisen.
Sensoren erobern die Welt
Wie so oft, ist die Mutter Natur ein Rollenmodell und Massstab für die technische Entwicklung. In den letzten gut einhundert Jahren wurden auf dem Gebiet der Sensortechnologie enorme Fortschritte erzielt. In einigen Disziplinen haben menschgemachte Messsonden dabei der Natur bezüglich Empfindlichkeit bereits den Rang abgelaufen. Im Unterschied zum einfachen Messgerät wie zum Beispiel dem bereits im frühen 17. Jahrhundert erfundenen Thermometer wandeln Sensoren Messgrössen wie Temperatur, Druck, Wind, Feuchtigkeit oder magnetische Feldstärken stets in elektrische Signale um. Sie ermitteln sozusagen den «Ist-Zustand» eines Systems und stehen immer am Anfang einer Signalkette. Die meisten Sensoren sind heute in einem Halbleiter-Chip integriert. Nachgeschaltet folgt dann «das Gehirn», meist ein Mikroprozessor, der die Daten verarbeitet. Am anderen Ende kann ein sogenannter Aktor– sozusagen der Muskel — zugeschaltet sein in Form eines Reglers oder Motors.
Datenhunger schafft Nachfrage
Erste breite Anwendung fanden Sensoren ab den 1950er Jahren in Rauchmeldern und Kühlschränken. In den letzten Jahren ist der Markt für Sensoren förmlich explodiert, denn einerseits sind die kleinen Messsonden besser und günstiger in der Herstellung geworden, andererseits werden Datentransfer- und Verarbeitungssysteme wie 5G immer leistungsfähiger. Das erzeugt einen ungeheuren Datenhunger. Das amerikanische Marktforschungs-Institut Allied Market Research schätzt, dass der globale Sensormarkt 2019 knapp USD 170 Mrd gross war und bis 2028 um jährlich 9% auf USD 340 Mrd zulegen dürfte. Die Nachfrage nach Mobilgeräten und die digitale Vernetzung ganzer Industrien sind dabei die wichtigsten Treiber. Ferner werden Biosensoren immer häufiger in der medizinischen Überwachung eingesetzt, Bewegungs- und Positionierungssensoren etwa im Transport- und Militärwesen oder im Monitoring globaler Umweltsysteme.
Ein Feld mit vielen Akteuren
Solche Wachstumszahlen erwecken meist den Appetit der Investoren und Akteure. Entsprechend breit ist die Phalanx der Industrieunternehmen auf diesem Gebiet, von Nischenplayern bis zu Anbietern integrierter Lösungen wie Honeywell, Infineon, Johnson Controls, Qualcomm, Robert Bosch, Sony STMicroelectronics oder TE Connectivity. Auch einige Schweizer Player operieren erfolgreich in diesem Markt. Die Firma Inficon zum Beispiel liefert Geräte, die winzigste Mengen an Gas aufspüren können, um Lecks frühzeitig zu erkennen. Künstliche Hundenasen sozusagen. Der grösste wirtschaftliche Mehrwert steckt bei den meisten Sensoren im Design und in der zugehörigen Datenmanagement- bzw. Steuerelektronik, während das Sensorelement selbst oft Massenware ist. Die Corona-Krise hat auch der Halbleiterbranche und ihren Lieferketten vorübergehend gehörig zugesetzt. Die Chip-Knappheit, die in zahlreichen Sektoren noch bis anfangs 2022 zu spüren sein dürfte, hat dafür gesorgt, dass die Preise auf breiter Front deutlich angezogen haben.
Sensible selbstfahrende Autos…
In einem modernen Auto stecken heute bis zu 200 teils mikrometerkleine Sensoren von 15 unterschiedlichen Wesensarten, die über 1.5 Kilometer Kabel mit etwa 80 Mikrocontrollern verbunden sind. Sie sammeln eine Unmenge von Daten wie Reifendruck, Drehzahl, Beschleunigung, Abgasstrahlzusammensetzung, Kabinenfeuchtigkeit, Temperatur, Regenintensität und vieles mehr. Wer sich schon mal durch die Anzeigemöglichkeiten in einem neuen Fahrzeug geklickt hat, kann das bestätigen. Das Technologieunternehmen Sensirion aus Stäfa hat sich in diesem Bereich zu einem wichtigen Sensorlieferanten für Autohersteller gemausert. Höchste Anforderungen bezüglich zeitlicher und räumlicher Empfindlichkeit werden derweil an Abstands- und Ortungssensoren gestellt. Fahrassistenten, Parkhilfen und (teil)autonome Fahrsysteme arbeiten heute mit einer Kombination aus Kamera‑, Radar- und Lidar-Sensoren. Letztere senden Lichtimpulse in viele Richtungen aus und ermitteln dank der Zeitverzögerung des Reflexionsstrahls ein dreidimensionales Bild der Umgebung. Die an der Schweizer Börse kotierte ams gehört zu den Marktführern für solche Produkte.
…brauchen messerscharfe Digitalkameras
Tesla hat jüngst allerdings angekündigt, für ihr Model 3 und Y auf solche Systeme zu verzichten und allein auf die Kameras als Rundum-Auge zu setzen. Denn digitale Kameras werden ebenfalls immer raffinierter. Lichtsensitive Chips – die eigentliche Netzhaut der Digitalkamera — in Smartphones jüngster Generation wie dem Samsung Galaxy S20 — beherbergen auf knapp 2 Quadratzentimetern die unvorstellbar grosse Zahl von 100 Millionen farbaktiven Zellen. Gepaart mit guter Linsenoptik liefern sie gestochen scharfe Umgebungsbilder mit fantastischer Detailgenauigkeit — eine wichtige Voraussetzung für autonomes Fahren der Zukunft. Gleichzeitig hat mithilfe künstlicher Intelligenz die Bild- und Spracherkennung in den letzten Jahren erstaunlich rasche Fortschritte erzielt.
Daten sind Macht
So gesehen besitzt jedes Handy heute ein intelligentes Auge und Ohr: Ein Foto einer unbekannten Blume knipsen oder eine Vogelstimme aufnehmen, und schon liefern geeignete Apps ein mögliches Resultat. Die Symbiose einer Myriade feiner Sensoren gepaart mit leistungsstarker Datenverarbeitung pflügt unsere Welt derzeit gerade um. Viele Prozesse werden dadurch vereinfacht und kontrollierbarer. Ob die Welt dadurch ein sicherer und lebenswerterer Ort wird, hängt selbstverständlich von denjenigen ab, welche sich diese Dienste zunutze machen.
Bei Fragen zu diesem Thema stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
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