Interview mit: Sara Aduse
Sara Aduse aus Zürich wurde als Kind in Äthiopien beschnitten. Sie hat ihre Vergangenheit akzeptiert und ihre Mission gefunden: Sara Aduse möchte Betroffene unterstützen und die Öffentlichkeit zum Thema Mädchenbeschneidungen sensibilisieren.
Sara Aduse, weshalb lassen Familien ihre Kinder heute noch beschneiden?
Das ist kulturell bedingt und hat nichts mit dem Islam zu tun, es gibt auch Christen, die ihre Mädchen beschneiden. Sie wollen, dass ein Mädchen kein Lustempfinden hat und bis zur Ehe Jungfrau bleibt. Die Menschen wachsen im Glauben auf, dass nur eine beschnittene Frau eine richtige Frau sei. Das man erst dann heiratswürdig und rein ist. Wäre ich mit diesem Glauben aufgewachsen, hätte ich dies wohl auch als richtig empfunden. Durch den Kulturwechsel in der Schweiz bin ich diesem Denkmuster entrissen worden, was für mich ein grosses Glück ist.
Was hat die Beschneidung bei Ihnen ausgelöst?
In diesem Moment fühlte ich mich hilflos und fremdbestimmt und dieser Moment hielt bis zu meinem 27. Lebensjahr an. Ich war voller Komplexe und Selbstzweifel. Die Kontrolle über mein Leben war mir entglitten, andere bestimmten, ob ich glücklich bin oder nicht. Das Leben war ein gefährlicher Ort und ich traute niemandem. Als Kind sagte ich zu mir: «Wenn ich gross bin, werdet ihr mir nicht mehr weh tun.» Ich war fast immer wütend und aggressiv gegen meine Mutter. Der Hass war einfach da, ich habe nicht gewusst, warum ich so wütend auf meine Mutter war.
Wann ist in Ihnen der Wunsch gewachsen, sich für andere Mädchen und Frauen einzusetzen?
2018 habe ich erkannt, dass ich durch die Beschneidung schwer traumatisiert war. Zu dieser Zeit habe ich angefangen, ganz viele Bücher und Podcasts zum Thema zu lesen, bzw. hören. Durch meine Recherche wurde mir bewusst, dass die weibliche Beschneidung eine Genitalverstümmelung ist und jeglichen Menschenrechten widerspricht. Viele Frauen werden durch dieses Erlebnis so schwer traumatisiert, dass sie den eigentlichen Akt disassoziieren. Sie können dadurch ihren Schmerz vergessen und sind sich nicht bewusst, was sie wiederum ihren Töchtern mit der Beschneidung antun.
Ich hatte Glück und bin in die Schweiz gekommen und habe dadurch Zugang zu Wissen. Bald war mir klar: Ich möchte Vermittlerin sein. Ich kenne den Schmerz und kann Mädchen und Frauen, die in ihrer Kindheit beschnitten wurden, dazu ermuntern diesen blinden Fleck aufzudecken. Ich kann ihnen helfen zu verstehen, dass es nicht in Ordnung ist, was ihnen angetan wurde und dies erst noch durch ihre Nächsten. Die Beschneidung passiert ja meistens in der eigenen Familie. Mütter und Grossmütter sind anwesend, wie auch bei mir meine Grossmutter anwesend war. Hier wird das Urvertrauen regelrecht zerstört.
Die Erkenntnis, dass ich kein Opfer bin, sondern dass ich dank meiner Geschichte etwas verändern kann, gab mir neuen Mut. Ich konnte den ganzen Schmerz, die Wut und den Hass in positive Lebensenergie umwandeln.
Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?
Ich bin in verschiedenen Projekten involviert. Einerseits arbeite ich mit Betroffenen und zeige ihnen meinen Weg. Dafür habe ich zusammen mit einem Hypnosetherapeuten ein Video aufgenommen, indem ein möglicher Heilungsweg aufzeigt wird. Dieses Video möchten wir NGO’s, die sich dem Kampf gegen die Genitalverstümmelung widmen, anbieten. Mit Unicef und Worldvision kommt anfangs 2022 ebenfalls ein sehr grosses Projekt bezüglich Aufklärungsarbeit ins Rollen. Ausserdem habe ich ein Buch geschrieben und einen Film mit einem grossen Schweizer Medienhaus aufgenommen, beides wird demnächst erscheinen.
Vor welchen Herausforderungen stehen Sie derzeit?
Ideen habe ich viele, Fachwissen und Ausbildung im Coaching auch. Was mir jedoch fehlt, ist das Know-how, wie man all diese Projekte effizient führt und weiterbringt. So wünsche ich mir eine professionelle Projektleitung und neue Inputs für die Gestaltung meiner Homepage. Oder einfach generell weitere finanzielle Mittel und Menschen, die mich im Kampf gegen die Beschneidung von Mädchen unterstützen möchten.
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