Von: Hannah Halbheer
Auf dem Weg durch die Kanäle Venedigs verfolgen einen zwei helle Augen auf dunklem Untergrund: sie schielen beobachtend von Hauswänden herab, ziehen auf Vaporetti an einem vorbei. Touristen halten sie auf Rückseiten von ihren Stadtplänen in den Händen. Es sind die Augen, gemalt vom mexikanischen Künstler Felipe Baeza, die auf dem Plakat für die diesjährige 59. Biennale Venedig abgedruckt sind. Sie zieren eine Stadt, die sich ohnehin schon wie ein Märchen anfühlt. Diese Insel der Alltagsflucht ist seit dem 23. April und bis zum 27. November 2022 wieder Schauplatz und Bühne für zeitgenössische Kunst.
Die 59. Biennale in Venedig
Seit 1895 findet die Biennale alle zwei Jahre statt. Verschoben wurde sie bisher lediglich vier Mal: Während den Weltkriegen und im Pandemiejahr 2021. Die wohl grösste internationale Kunstausstellung füllt und belebt die Lagunenstadt jeweils für einige Monate mit Kunst. Insgesamt präsentieren 80 Länder sorgfältig kuratierte nationale Pavillons: Länder wie z.B. Uganda, Kamerun oder Nepal sind dieses Jahr zum ersten Mal mit dabei. Für die über 200 ausstellenden Künstlerinnen und Künstler bietet die internationale Sichtbarkeit an der venezianischen Biennale eine grosse Chance: Insbesondere die Verleihung des prestigeträchtigen goldenen Löwen gilt als Gütesiegel. Dieses Jahr ging dieser an die Afro-Amerikanische Künstlerin Simone Leigh, sowie an den Pavillon Grossbritanniens. Nebst den offiziellen Biennale Präsentationen, finden vielzählige kollaterale Events und unabhängige Ausstellungen statt: von den Länderpavillons in den Giardini über Drohnen Lichtershows in alten Kirchen und Palazzi.
Länderpavillons
Der Park der Giardini sowie die alte Schiffswerft Arsenale am Rande der Stadt bilden das Herzstück der Biennale. Dort befinden sich die Länderpavillons und die kuratierte Ausstellung. In den Giardini stehen viele der extra für die Ausstellung erbauten Räumlichkeiten der verschiedenen Nationen. Der Schweizer Pavillon, der 1951/52 von Bruno Giacometti entworfen wurde, zeigt in diesem Jahr eine Installation der Künstlerin Latifa Echakhch: sie spielt mit Licht, Raum und Klang und hält, was der Titel ‘The Concert’ verspricht. Während der russische Pavillon dieses Jahr leer blieb, sorgten insbesondere die in den Giardini ansässigen Länder Belgien, Griechenland, Finnland oder Grossbritannien für positive Resonanz. Gewisse Länder haben Palazzi, Kirchen oder sonstige Standorte überall in der Stadt verteilt für ihre Präsentationen angemietet. Zudem werden neben den offiziellen Länderpräsentationen auch kleinere und versteckte Palazzi zu Galerien auf Zeit: so findet man parallel auch Ausstellungen von Marlene Dumas, Bruce Nauman, Anish Kapoor und Anselm Kiefer. Oder jene von Stanley Whitney, im nur schwer zu findenden Palazzo Tiepolo Passi, wo seine farbenfrohen Leinwände mit Murano Glas Leuchtern spielen – stets vor den grossen Fenstern mit Sicht auf den Canale Grande mit seinem wuseligen Treiben der unzähligen Boote und Gondeln.
Herz der Ausstellung: The Milk of Dreams
Im Zentrum des Kunstkarussells steht die Hauptausstellung: Dieses Jahr kuratiert von Cecilia Alemani, mit dem Titel ‘The Milk of Dreams’. Der Titel stammt von dem gleichnamigen Kinderbuch von Leonora Carrington. Davon inspiriert wurde auch der thematische Inhalt: Fragen der menschlichen Definition, des Körpers in Relation zu unserem Planeten. Die Metamorphose zum nicht-menschlichen, Verwandlungen zum Tier und der Pflanzenwelt. Stark thematisiert wurde auch die Femininität – allein deshalb, weil dieses Jahr rund 90% der ausstellenden Kunstschaffenden weiblich sind. Dem Gesamteindruck haftet der Surrealismus an, eine Kunstbewegung, die auch in der aktuellen Ausstellung der Sammlung von Peggy Guggenheim auf der anderen Seite des Canale Grande aufgenommen wird.
Brücken, Sackgassen und geflügelte Löwen
Die verwinkelten Gassen und die fehlende Möglichkeit zur schnellen Fortbewegung mögen Pünktlichkeit und Zeitplanung erschweren – doch niemand vermisst in der Stadt die effiziente Infrastruktur einer U‑Bahn. Zu schön sind die Wege über die unzähligen Brücken, durch die engen Gässchen und vorbei an den geflügelten Löwen, die einem an jeder Ecke begegnen. Kunsttouristen outen sich dadurch, dass sie versuchen, sich so gezielt wie möglich durch das Labyrinth von einer Ausstellung zur nächsten zu schlängeln. Google Maps stösst in der Stadt auf seine Grenzen, oft endet der Weg unverhofft an einem Kanal – ohne Brücke, um ihn zu überqueren. Trotz der langen Kunst-Checkliste kann man nicht anders als immer wieder stehen zu bleiben, um die märchenhafte Stadt zu bewundern, deren Anblick man niemals müde wird.
Die visuellen Eindrücke der Stadt und der vielen unterschiedlichen Ausstellungen sind überwältigend. Bei Rückkehr in die Normalität, sobald sich das Gesehene wieder zu legen beginnt, fühlt sich alles an wie ein Traum: surreal und magisch.
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