Von: Hannah Halbheer
Spekulationen, ob Seoul wohl Hong Kong als asiatisches Kunstmarkt Epizentrum ablösen würde, verbreiten sich immer mehr in der Kunstwelt. Nach Hong Kong konnte in den letzten drei Jahren aufgrund der Pandemie kaum jemand einreisen – Proteste und eine fortschreitende Zensur legten der Kunstwelt bereits vor den Einreiserestriktionen Steine in den Weg. Nicht weit davon entfernt, erlebt Südkorea einen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung. Bunt und fröhlich klingeln Jingles vor Ankündigungen der einfahrenden U‑Bahn durch Lautsprecher. Starbucks, Tischgrille, sich bewegender Oktopus auf den Tellern, Foto Boxen und pinke Karaoke Räume finden sich an jeder Ecke. Und mittendrin: die erste Ausgabe der Kunstmesse Frieze.
Frieze goes Seoul
Die etablierte Kunstmesse Frieze bespielte bisher die drei Standorte London, New York und Los Angeles. Anfang September 2022 fand sie zum ersten Mal in den riesigen Messehallen des COEX Convention Centers inmitten von Gangnam statt – eine Gegend, die wir hier vor allem aufgrund des Hits «Gangnam Style» von PSY aus dem Jahr 2012 kennen. Ca. 110 Galerien stellten an der Frieze Seoul ihre Künstler aus. Die Messe war über die vier Tage hinweg mit 70’000 Besuchern komplett ausverkauft. Im selben Gebäude fand die Korean International Art Fair (Kiaf) statt, die bisherige südkoreanische Hauptmesse. Die Kunstwelt wäre ausserdem nicht die Kunstwelt ohne das obligate Rahmenprogramm mit Partys, Talks und Eröffnungen überall in der Stadt verteilt. Für die meisten Galeristen war es die erste Präsenz in der südkoreanischen Hauptstadt. Entsprechend aufregend und spannend war es zu beobachten, wie die Messestände kuratiert wurden.
Grosse Namen versus neue Positionen
Vor international bekannten Namen wie George Condo oder Picasso reihten sich die Messebesucher, ihre Handys griffbereit. Bei Aquavella sahen sich die Galeristen gezwungen, am Boden Markierungen zum Einhalten von Abstand anzubringen. Trotzdem wuselte eine der anwesenden Gallerinas nervös neben dem grossen Basquiat Vogel hin und her, weil die Menschenansammlung davor gefährlich nahe an die anderen Kunstwerke kam. Andere Galerien stellten Werke von neuen und in Asien noch unbekannten Künstlerinnen und Künstler aus. Entsprechend grösser schienen ihre Anlaufschwierigkeiten. Die Kaufdynamik in Seoul war anders als an europäischen Messen. Während an einer Art Basel normalerweise alles in den ersten beiden Stunden verkauft wird, liefen die Verkäufe während der Frieze über alle Tage der Messe hinweg. Sammler informierten sich, kamen zurück, informierten sich und kauften dann.
Neue Generation von Kunstsammlern
Viele kaufkräftige Sammler in ihren 30ern schlenderten zwischen den Ständen hindurch. Am ersten Preview-Tag quetschten sich auch Papparazzi durch die Gänge: Sie verfolgten die zahlreichen K‑Pop Stars, Schauspielerinnen oder Influencer. Die Präsenz der K‑Kultur-Stars hat eine Leuchtwirkung: Sie beeinflusst die junge Generation an neuen Sammlern. Genauso wie sie den Wunsch nach Ästhetik und Luxus weckt und zur Schaustellung teurer Autos oder zum Tragen von Markenkleidung animiert. Doch die jungen Sammler dieser Generation mit ihrem neuen Reichtum sehen in Kunst nicht nur ein Luxusgut. Sie sehen sie auch als Investitionsmöglichkeit. Der Art Basel und UBS Report 2022 meldete in Südkorea einen Vermögenszuwachs von +46 %, global an zweiter Stelle direkt nach Indien.
Der Staat fördert Kunst
Die lokalen Galerien füllen sich an Wochenenden mit Besuchern, die keine Berührungsängste haben vor den grossen, leeren «White Cubes». Koreaner nutzen Gallery-Hopping als Freizeitbeschäftigung: die ausgestellte Kunst ist jung, digital und durch aufwändige Installationen physisch erlebbar. Kunst ist Teil der Kultur in Seoul: Der Staat fördert junge Künstler, es gibt unzählige Museen, Privatsammlungen, Off-Spaces, Galerien. Nebst den gesprochenen Fördergeldern, werden auch keine Import- oder Mehrwertsteuern auf die Einführung für Kunstwerke erhoben.
Der Kunstmarkt in Seoul
Ungefähr die Hälfte der rund 52 Millionen Koreaner wohnt in der Metropolregion in und rund um Seoul, entsprechend riesig ist die Stadt. Eine Stadt, in der Google Maps nicht funktioniert, die lokalen Apps alle auf Koreanisch laufen und Taxis Mangelware sind. Sich in Seoul zu bewegen, Termine einzuhalten und abends nach einer Eröffnung ins Hotel zurückzukommen, kann somit durchaus zu einer grösseren Herausforderung werden.
Über die gesamte, gigantische Stadt hinweg entwickelte sich in den vergangenen Jahren eine blühende lokale Kunstwelt mit eigenen Auktionshäusern, einem stabilen Galeriennetzwerk, einer hohen Dichte an Privatmuseen und einer soliden Sammlerbasis. Gemäss dem Art Basel Report 2022 überholte Südkorea gar Deutschland als der fünft grösste Auktionsmarkt für zeitgenössische Kunst. Gemäss einer Studie von «KAMS» (Korea Arts Management Service), hat sich aufgrund des Aufstiegs vieler junger, neuer Sammler Südkoreas Kunstmarkt innert Kürze verdreifacht.
K‑Art on the rise
International erweckt die koreanische K‑Kultur mit kulturellen Exporten wie K‑Pop Stars «BTS», der Netflix Serie «Squid Game» oder dem Oskar gekrönten Film «Parasite» Faszination. Dieser scheint nun auch die westliche Kunstwelt erlegen zu sein. Neben lokalen Galerien wie Kukje‑, Hyundai- oder PKM Gallery, zogen in den vergangenen Jahren auch grosse Namen westlicher Galerien wie Perrotin, Pace, König oder Ropac in die südkoreanische Hauptstadt. Und spätestens seit der Ankündigung der ersten Ausgabe der Frieze, steht Seoul im Rampenlicht der internationalen Kunstwelt.
Die Eindrücke aus Seoul hallen nach: die florierende Kunstszene, das exotische Essen, das Gefühl endloser Möglichkeiten und am allermeisten, die respektvolle Freundlichkeit der Menschen. Die Aufregung der internationalen Kunstwelt gegenüber der südkoreanischen Hauptstadt verspricht, dass wir uns wohl noch auf einiges gefasst machen dürfen. Die Galerien, die zum ersten Mal in Seoul waren, planen zurückzukommen. Andere werden sich nach dem Erfolg der andern fürs nächste Jahr bewerben. Bis bald, Seoul!
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