Am 29. Mai 2023 erklärte Nvidias Chef Jensen Huang, dass die Welt «an einem Wendepunkt einer neuen Computerära» steht. Am nächsten Tag erreichte der Marktwert von Nvidia kurzzeitig eine Billion US Dollar. Es vergeht kaum ein Tag, an dem man nicht von Künstlicher Intelligenz (KI) liest oder ein Unternehmen ein neues Produkt auf den Markt bringt, das auf dieser Technologie basiert. Die Performance ist dementsprechend.
Was sind die Stärken und Schwächen von generativen KI-Chatbots?
Eine der grossen Stärken von KI-Sprachmodellen ist, dass sie in der Lage sind, eine riesige Menge an Daten mit einer enormen Geschwindigkeit zu verarbeiten. Dabei werden sie mit Milliarden von Texten aus dem Internet trainiert. Dadurch lernen sie, welche Wörter in einem Satz zu einem bestimmten Thema am wahrscheinlichsten auf andere Wörter folgen. Sie spielen ständig das Spiel «Was ist das nächste Wort?» KI-Chatbots beantworten nicht nur Fragen, sondern können Essays, Gedichte oder Lieder schreiben. Manche können sogar Kunst oder Musik auf der Grundlage von Textvorgaben erzeugen.
Zusammengefasst sind KI-Sprachmodelle ausserordentlich stark im Musterabgleich und um Textaufgaben zu bewältigen. Sprich, sie werden uns ermöglichen auf eine ganz neue Art und Weise auf Informationen und Dienstleistungen zuzugreifen.
Generative KI-Chatbots haben aber auch eine Reihe von Schwächen
Komplexität: Zum einen geht es um die mangelnde Transparenz (Black Box). Zum anderen gibt es inzwischen Sprachmodelle mit bis zu 1 Billion Gewichte beim Erstellen/Generieren/Abgleich von Texten (mutmasslich bei ChatGPT‑4). Dies ist für den Menschen nicht mehr nachvollziehbar.
Genauigkeit: KI-Modelle sind bei der Genauigkeit noch nicht so weit fortgeschritten. Im Grunde genommen geben sie uns ja auch nur das, was bereits im Internet steht. Sie wissen also nichts wirklich und verstehen nichts. Sie haben keine Vorstellung von richtig oder falsch oder von Wahrheit und Lüge. Ein Chatbot kennt zum Beispiel den Unterschied zwischen einem wissenschaftlichen Aufsatz und einer fiktiven Kurzgeschichte nicht und gewichtet beides gleich, wenn er eine Frage beantwortet. Dabei entstehen Behauptungen, die nicht wahr sind. Dies nennt man im Fachjargon «Halluzination». Dies muss verbessert werden, wenn Chatbots Prozesse und Geschäftsbereiche automatisieren sollen.
Chatbots – Die neue Konkurrenz für viele Business Modelle
Generative KI und Chatbots gehören zu den disruptiven Technologien. Das Potenzial ist riesig und wird alte Business Modelle komplett umkrempeln und neue schaffen. Die Möglichkeiten sind hier praktisch endlos.
Suchmaschinen/Werbung: Chatbots werden den lukrativen Suchmaschinen (Google, Bing etc.) das Feld streitig machen. Insbesondere bei Google geht es um viel, da Google seit rund 25 Jahren die Tür zum Internet dominiert und damit sehr hohe Werbeeinnahmen generiert. Ein Beispiel: Chatbots können bei der Reiseplanung nützlicher sein als eine Suchmaschine. Wenn man eine Suchmaschine fragt, wie man von Zürich nach London kommt und ein Hotel sucht, dann wird sie viele Links von Fluggesellschaften und Hotels anzeigen, die dafür bezahlt haben, dass ihre Websites auf der Suchseite angezeigt werden. Jetzt stelle man sich einen KI-Chatbot vor, der mir genau sagen kann, welche Fluggesellschaft an dem Tag und zu der Uhrzeit fliegt und das günstigste Ticket anbietet (dasselbe gilt bei der Hotelsuche). Für die günstigste Fluggesellschaft und das günstigste Hotel fällt damit der Anreiz weg, Werbung zu machen, da der Chatbot sie ohnehin auswählen würde. Fluggesellschaften, die teurere Tickets anbieten, hätten ebenfalls keinen Anreiz mehr, Werbung zu schalten, da der Chatbot sie nicht empfehlen würde. Der Chatbot könnte jetzt so programmiert werden, dass er nur die Fluggesellschaft empfiehlt, die für Werbung bezahlt hat. Bei Chatbots wäre das aber ein gefährliches Spiel, da Nutzerinnen und Nutzer schnell auf eine andere Plattform ausweichen könnten.
Anwaltskanzleien/Rechtspraxis: Generative KI-Modelle könnten die Rechtspraxis radikal verändern. Laut Goldman Sachs könnten 44 % der juristischen Aufgaben von KI übernommen werden. Der Grund ist, dass Anwälte sehr viel Zeit damit verbringen, langwierige Dokumente zu prüfen. Alles was mit Texten zu hat, ist aber eine der grossen Stärken von KI-Modellen. Damit könnte die Geschwindigkeit von juristischer Recherche und Überprüfung von Dokumenten in einer noch nie da gewesenen Geschwindigkeit erledigt werden. In einer grossen Anwaltskanzlei liegt das heutige Verhältnis von Associates zu Partnern bei rund sieben zu eins und könnte dank KI-Modellen möglicherweise Parität erreichen.
Es steht viel auf dem Spiel
Bei der ganzen Diskussion über Gewinner und Verlierer ist oftmals noch unklar, ob KI zu mehr Wettbewerb führen wird oder nicht und welche Business Modelle am meisten davon betroffen sein könnten. Die Eintrittshürden für qualitativ hochstehende generative KI-Modelle sind sehr hoch und das Erstellen, Trainieren und Betreiben grosser Sprachmodelle ist sehr teuer. Gut möglich, dass das Quasi-Monopol von Google, Microsoft und Baidu erhalten bleibt. Für die Big Players in diesem Bereich steht auf jeden Fall viel auf dem Spiel.
Die Gewinner von KI
Gemäss Amin Vahdat, Leiter der KI-Infrastruktur bei Google, hat sich die Grösse der KI-Modelle in den letzten sechs Jahren jedes Jahr verzehnfacht. GPT‑4, die neuste Version von ChatGPT, analysiert Daten mit vielleicht einer Billion Parametern. Da die KI-Modelle immer komplexer werden, steigt auch der Rechenaufwand für ihr Training, die benötigte Infrastruktur etc. Sprich, es gibt eine Reihe von möglichen Gewinnern.
Chip Hersteller/Netzwerkinfrastruktur: Die eindeutigsten Gewinner sind die Chip-Hersteller. KI-Modelle wie ChatGPT erfordern riesige Mengen an Rechenleistung.
Cloud Infrastruktur: Das Training von KI-Modellen findet grösstenteils in der Cloud statt und dabei profitieren alle Cloud-Anbieter.
Server-Farmen/Rechenzentren: Die Nachfrage nach Cloud Computing erfordert entsprechende Server-Farmen und Rechenzentren.
Serverhersteller: Die Rechenzentren benötigen Server und diese müssen hergestellt werden.
Startups: Die neue Industrie schafft Raum für eine Reihe von Startups, die Tools für generative KI-Modelle anbieten, spezielle Datenbanken bereitstellen oder im Chip Design tätig sind.
Die Risiken von KI
Forscher sind sich in diesem Bereich noch uneinig, aber das Risiko besteht, dass immer grösser werdende Modelle eines Tages unkontrollierbare Folgen für die Gesellschaft haben könnten. Die oft genannten Risiken sind:
Gesellschaftliche Herausforderung (Eliza-Effekt): In Experimenten haben Menschen Gefühle für Chatbots/Avatare entwickelt, obwohl sie wussten, dass es sich um eine Maschine handelt. Menschen können bestimmte Reaktionen auslösen, indem sie emotional positiv/negativ reagieren. Dieses Verhalten kann von Chatbots aber erlernt werden. Menschen glauben dann tatsächlich, dass sie eine Freundschaft oder eine Beziehung zu einem Chatbot haben. Dies ist keine Fiktion, sondern bereits Realität. www.replika.com zum Beispiel bietet für zahlende Kunden einen KI-Begleiter in Form eines Chatbots mit einem humanoiden Avatar an.
Fehlinformationen: Ein KI-Modell verbreitet bewusst Fehlinformationen, die über die sozialen Medien verbreitet werden. Diese können politischer Natur sein, gewisse Bevölkerungsgruppen betreffen etc.
Intelligenz: KI-Modelle werden einmal in der Lage sein unsere Sicherheitsvorkehrungen zu umgehen (Firmen Firewalls, Kernkraftwerke, Energie- und Verkehrssysteme etc.).
Unkontrollierbarkeit: KI-Modelle können so programmiert werden, dass sie zum Ziel gesetzt bekommen sich selbst immer weiter zu verbessern. Mit einer solchen Schleife werden KI-Modelle immer effizienter und besser. Ab einem gewissen Punkt kann diese Entwicklung nicht mehr kontrolliert werden.
Kontrollsysteme von KI
Zwei gängige Kontrollsysteme für KI sind RLHF und Red Teaming.
RLHF (Reinforcement Learning with Human Feedback): Bei RLHF werden die Modellanweisungen von Menschen getestet. Wenn der Output falsch ist, wird dies dem KI-Modell mitgeteilt, dass es etwas «schlechtes» ist und damit in der Zukunft nicht mehr vorkommt.
Red Teaming: Bei Red Teaming wird das KI-Modell einer Reihe von Tests unterzogen, um Schwachstellen zu finden. Dabei besteht die Befürchtung, dass KI-Modelle mit der Zeit die Red Teaming-Tests erkennen, konform reagieren und in einer anderen Umgebung unberechenbar handeln.
Was bringt die Zukunft?
Der derzeitige Boom ist enorm and die Begeisterung für KI wird wohl auch wieder etwas abklingen.
Potenzial: Das Potenzial von künstlicher Intelligenz ist aber riesig (disruptive Technologie). KI wird alte Business Modelle komplett umkrempeln und neue schaffen. Die Möglichkeiten sind hier praktisch endlos.
Arbeitslosigkeit: Ein von OpenAI veröffentlichtes Papier besagt, dass etwa 20 % der US-Arbeitskräfte in den nächsten Jahren von generativer KI betroffen sein könnten. Sprich, viele Aufgaben, die wir täglich erledigen, könnten langfristig von diesen Modellen profitieren.
Produktivitätsschub: Wirtschaftlich könnten wir einen Produktivitätsschub erleben wie beim Internet oder mehr. Der Knackpunkt dabei ist, dass für einen solchen Wachstumsschub 100 % des gesamten Prozesses automatisiert werden muss. Bei 90 % tritt nicht annähernd der gleiche Effekt ein und die Produktivität/Wachstum orientiert sich am langsamsten Teil des Prozesses. Bei KI-Modellen wäre dies der Mensch.
Regulatorien: Auch die Regulierungsbehörden sind auf die Technologie aufmerksam geworden und nehmen sich dieser genauer an – insbesondere Europa. So hat der EU-Gesetzgeber beispielsweise bereits Vorschriften zur Einschränkung von Chatbots vorgeschlagen. Beim Thema Urheberrechtsverletzungen gibt es ebenfalls Bedenken. Europa ist aber nicht allein und politische Entscheidungsträger auf der ganzen Welt denken bereits über Leitplanken nach. Ebenfalls wird bereits über eine Art Zertifizierung diskutiert, bei der die KI-Modelle verschiedene Tests in einem Labor bestehen müssten. Eine weltweite Koordination ist aber wohl illusorisch. Einschränkende Massnahmen können die Entwicklung von KI-Modellen vielleicht verlangsamen aber wahrscheinlich nicht sehr stark.
KI versus Krypto: Ein Seitenhieb zu den Kryptowährungen mag erlaubt sein. KI-Modelle werden sich mit grosser Wahrscheinlichkeit als nützlicher erweisen und sich schneller am Markt durchsetzen.
Der generative-KI Zug hat die Station längst verlassen und wird für Investoren neue Opportunitäten eröffnen. Warren Buffet meinte in einem Interview dazu «It is an incredible technological advance and the amount of time it can save you is unbelievable. It scares me in terms of the possibilities of it.»
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