Der Neurowisschenschaftler Pascal Kaufmann über die Herausforderungen der künstlichen Intelligenz.
Gastbeitrag

Die KI-Revolution: Einblick in die Zukunft von Arbeit, Ethik und kreativem Schaffen

In diesem Interview tauchen wir ein in die Welt der künst­lichen Intel­ligenz (KI) und disku­tieren mit einem Experten ihre Rolle bei der Umgestaltung unserer Gesell­schaft. Der studierte Neuro­wis­sen­schaftler Pascal Kaufmann ist Unter­nehmer und Gründer von AlpineAI, der Mindfire Gruppe, Lab42 AI Lab Davos und ist Co-Gründer von Starmind International.

Wie sehen Sie die Rolle der künst­lichen Intel­ligenz (KI) bei der Verän­derung unseres Alltags und unserer Gesellschaft?

Künst­liche Intel­ligenz wird zweifellos das 21. Jahrhundert prägen. Ihr Einfluss wird deutlich durch Automa­ti­sierung spürbar sein, auch in Bereichen, die einst als ausschliesslich menschlich galten. Dies betrifft vor allem Arbeits­be­reiche, die als «White-Collar-Jobs» bekannt sind. Die zuneh­mende Übernahme solcher Aufgaben durch KI wird zwischen­mensch­liche Bezie­hungen immer mehr in den Vorder­grund rücken. Physische und handwerk­liche Arbeiten gewinnen an Bedeutung, während die gesamte Gesell­schaft sich tiefgreifend verändert.

Können Sie Beispiele für die Einflüsse von KI auf unser Leben nennen?

So genannte künst­liche Intel­ligenz ist in erster Linie eine Form der Automa­ti­sierung, die sich über die Jahre stark weiter­ent­wi­ckelt hat und nun einen grossen Einfluss auf unseren Alltag hat. Dies beinhaltet Innova­tionen wie automa­ti­sierten Kunden­service und sogar das Verfassen von Texten. Letzteres wurde in einer Univer­si­täts­studie ersichtlich, in der Bewer­bungen für litera­rische Studi­en­gänge zurück­gingen, da KI bereits beacht­liche Fähig­keiten im Textver­fassen aufweist. Automa­ti­sierung hat auch die Spitzen­for­schung beschleunigt und dazu geführt, dass viele zuvor ausge­schriebene Jobs nun auf ihre Automa­ti­sie­rungs­mög­lich­keiten überprüft werden. Dies ermög­licht es, Menschen für Tätig­keiten freizu­spielen, die nicht automa­ti­siert werden können. Genera­tiveAI hat die Art und Weise, wie wir über die Einstellung von Arbeits­kräften nachdenken, verändert, Wissens­arbeit wird an Wert verlieren während nicht automa­ti­sierbare Tätig­keiten stark an Wert gewinnen werden.

Wie wirken sich KI-Systeme auf die Arbeitswelt aus?

KI hat das Potenzial, mensch­liche Arbeits­kräfte zu ersetzen. Dies bedeutet, dass repetitive und weniger erfül­lende Aufgaben vermehrt von Maschinen übernommen werden. Ziel sollte jedoch nicht sein, immer mehr Jobs zu schaffen, sondern vielmehr effizi­enter zu gestalten und diese sogar zu reduzieren um dem Menschen Zeit für wirklich bedeutsame Tätig­keiten zu ermög­lichen. Dies könnte letzt­endlich die Lebens­qua­lität erhöhen.

Welche ethischen Fragen ergeben sich aus der Nutzung fortschritt­licher Chatbots und ähnlicher Technologien?

Aus meiner Sicht haben sich keine neuen ethischen Fragen aufgetan. Der Umgang mit poten­ziell irrefüh­renden Infor­ma­tionen war schon immer präsent – sei es in alten römischen Graffiti, die Unwahr­heiten verbrei­teten, oder in der heutigen Zeit, in der manipu­lierte Bilder und Videos existieren. Die Authen­ti­zität von Video­kon­fe­renzen oder Bildern eines Menschen war schon immer hinter­fragbar und ist keine neue ethische Proble­matik. Es geht seit jeher darum, die Quelle zu überprüfen und zu hinter­fragen, was Wahrheit oder Ethik in unserer Gesell­schaft bedeutet. Es ist nicht nur eine Frage des indivi­du­ellen Umgangs mit Techno­logie, sondern auch eine gesell­schaft­liche Frage, wie wir ethische Standards definieren wollen und wie sich unsere Auffassung vom Zweck des Lebens verändert hat. Insgesamt wird das tradi­tio­nelle Menschenbild und die Vorstellung davon, was ein gutes Leben ist, stark auf die Probe gestellt und weiter entwi­ckelt, was ich als sehr positiv betrachte.

Inwiefern beein­flusst die Fähigkeit von KI, Kunst und Musik zu generieren, den kreativen Prozess?

Ich sehe das Ganze zwiege­spalten. Auf der einen Seite glaube ich, dass Maschinen deutlich besser darin sind, kreativ zu sein. Ein Beispiel dafür ist die Fähigkeit von Maschinen, Hunderte von Lösungen für eine kreative Frage zu generieren, im Vergleich zu Menschen, die vielleicht nur einige wenige Ideen entwi­ckeln. Das legt nahe, dass Maschinen in der Lage sind, kreative Prozesse effektiv zu imitieren und sogar innova­tivere Ergeb­nisse zu erzielen.

Wenn es um Musik geht, könnte künst­liche Intel­ligenz eine Fülle von Stücken aus verschie­denen Genres vorstellen und mögli­cher­weise beein­dru­ckende und inter­es­sante Musik­stücke generieren. Aller­dings wird die Definition von Kunst in Frage gestellt. Ist Kunst nur das Werk eines Menschen, oder kann auch ein von Maschinen unter­stütztes kreatives Schaffen als Kunst betrachtet werden? Meiner Einschätzung nach könnte die Zukunft der Kunst darin liegen, dass Mensch und Maschine gemeinsam Werke schaffen, die eine bisher unerreichte Qualität aufweisen, im Gegensatz zu den allei­nigen Bemühungen eines Menschen.

Wie gehen wir mit vorein­ge­nom­menen Ansichten um, die KI-Systeme aus den in den Daten veran­kerten Infor­ma­tionen übernehmen können?

Die Heraus­for­derung von vorein­ge­nom­menen Ansichten ist keine neue, weder für Menschen noch für KI-Systeme. Es geht darum, wie wir die Infor­ma­tionen inter­pre­tieren und sicher­stellen, dass unsere Daten reprä­sen­tativ sind. Die Quellen­über­prüfung ist essen­tiell, um die poten­zielle Vorein­ge­nom­menheit zu minimieren. Stereo­typen, Rollen­bilder, Heuris­tiken oder auch Vorur­teile prägen eine Kultur. Würden diese allesamt elimi­niert, elimi­nierte man damit auch einen grossen Teil der Kultur. Gut vermeiden lassen sich sexis­tische oder rassis­tische Ansichten, hierzu kommt uns die Techno­logie zugute.

Wie kann die richtige Balance zwischen Automa­ti­sierung und mensch­licher Überwa­chung beispiels­weise im Gesund­heits­wesen erreicht werden?

Sowohl automa­ti­sierte Systeme als auch Menschen machen Fehler. Eine Studie aus China zeigte, dass Maschinen bei Entschei­dungen über lebens­er­hal­tende Massnahmen in vielen Fällen präziser waren als Menschen. Die Balance zwischen Automa­ti­sierung und mensch­licher Überwa­chung liegt in der mensch­lichen Fähigkeit zur Empathie und Feinfüh­ligkeit sowie der Fähigkeit von Maschinen zur präzisen Daten­analyse. Zukünftig könnte das Pflege­per­sonal eine bedeu­tendere Rolle spielen, da ihre zwischen­mensch­lichen Fähig­keiten entscheidend sind, während Maschinen in analy­ti­schen Bereichen unter­stützen könnten. Es ist absehbar, dass die Kranken­pfle­gerin oder der Kranken­pfleger dereinst ein höheres Salär beziehen wird als die die Ärztin oder der Arzt, die oder der aufgrund von Daten eine Diagnose stellt, etwas, worin Maschinen dem Menschen überlegen sind.

Wie realis­tisch ist die Vorstellung, dass KI-Systeme eine eigene Intel­ligenz entwi­ckeln könnten, und welche Folgen hätte dies?

Die Idee, dass KI-Systeme eine eigen­ständige Intel­ligenz entwi­ckeln könnten, erscheint nicht realis­tisch. Es ist wichtig, den Fokus auf die gegen­wär­tigen Möglich­keiten und Ziele der KI zu legen, die nicht unbedingt auf eine autonome Intel­ligenz abzielen. Auch ein Bagger ist stärker als ein Mensch und wir müssten uns fürchten, würden Bagger eigen­ständige Entschei­dungen treffen. Diese Autonomie ist auch im Bereich der KI nicht vorge­sehen und wäre auch unklug.

Wie können Regie­rungen und Unter­nehmen sicher­stellen, dass KI-Techno­logien verant­wor­tungsvoll entwi­ckelt und einge­setzt werden?

Das ist eine komplexe Frage. Wenn es um den Einsatz von Werkzeugen geht, ist es schwierig, deren Nutzung auf eine spezi­fische Art zu beschränken. Obwohl man Verbote oder Regulie­rungen einführen kann, um einen bestimmten Gebrauch zu verhindern, bleibt das Werkzeug an sich neutral. Es hängt stark von der Person ab, die es verwendet. Solange es keine umfas­senden Regulie­rungen oder klare Richt­linien gibt, bleibt das Risiko bestehen, dass Werkzeuge weniger verant­wor­tungs­be­wusst einge­setzt werden.

In Bezug auf Regulie­rungen bei KI-Techno­logien könnten klare Leitplanken dazu beitragen, den verant­wor­tungs­vollen Einsatz zu fördern. Aller­dings ist es wichtig, ein ausge­wo­genes Gleich­ge­wicht zu finden, damit Innovation und Forschung nicht behindert werden. Regulie­rungen sollten so gestaltet sein, dass sie eine verant­wor­tungs­volle Entwicklung und Nutzung fördern, ohne die Dynamik der Weiter­ent­wicklung einzu­schränken. Weiter bin ich überzeugt, dass es wichtig ist, wer KI entwi­ckelt: Gelingt ein Durch­bruch einem autokra­ti­schen Regime oder einer grossen Techfirma, dann ist der verant­wor­tungs­be­wusste Einsatz viel fraglicher, als wenn dies einer Organi­sation gelingt, welche das Wohl des Menschen im Fokus hat.

Was würden Sie Personen empfehlen, die besorgt über die Auswir­kungen von KI auf unsere Gesell­schaft sind?

Ich würde diesen Personen empfehlen, sich aktiv mit dem Thema KI ausein­an­der­zu­setzen. Ein erster Schritt könnte sein, ein Labor für künst­liche Intel­ligenz zu besuchen und dort den direkten Dialog mit Exper­tinnen und Experten zu suchen. Es ist wichtig, sich nicht nur auf Social-Media-Platt­formen wie Facebook oder Instagram zu infor­mieren, da dort oft einseitige, wenig diffe­ren­zierte und meist unwahre Infor­ma­tionen kursieren. Statt­dessen empfehle ich, den direkten Dialog mit relevanten Insti­tu­tionen in der Schweiz zu suchen, die im Bereich der künst­lichen Intel­ligenz aktiv sind. Beispiels­weise sind die Mindfire Stiftung sowie verschiedene Labore wie das EPFL AI Lab, das ETH AI Lab, das ZHAW AI Centre oder auch das Lab 42 in Davos gute Anlauf­stellen. Das Abonnieren von Newslettern kann ebenfalls hilfreich sein. Durch diesen direkten Kontakt zu renom­mierten Einrich­tungen und Exper­tinnen und Experten können Bedenken abgebaut und das Interesse sowie Verständnis für dieses faszi­nie­rende und zukunfts­be­stim­mende Thema enorm gesteigert werden.

Bei Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

notablog@rahnbodmer.ch


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