Im Gespräch mit Elisabeth Michel-Alder vom Verein Spurenwechseln tauchen wir in die Vision einer neuen Arbeitswelt ein. Sie erklärt, wie ihr Verein aus der Notwendigkeit heraus entstand, erfahrenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Plattform für berufliche Veränderungen zu bieten und zeigt auf, wie Unternehmen durch Umdenken und Investition in die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Arbeitswelt jenseits der 50 neu definieren können.
Aus welcher Intention heraus ist der Verein Spurenwechseln entstanden?
Der Verein Spurenwechseln hatte einen Vorgänger namens Silberfuchs. Das Konzept ist verwandt, mit einer leichten Akzentverschiebung. Ich bin Unternehmensberaterin und begleite häufig Change-Prozesse und coache Geschäftsleitungsteams. Dabei ist mir aufgefallen, dass ganz wenige Unternehmen überhaupt Konzepte für die zweite Hälfte der Berufslaufbahn haben und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Erreichen des Karrieregipfels als fertig entwickelt und mehrheitlich für Routine einsetzbar wahrnehmen.
Wir werden heute 10 Jahre älter als unsere Eltern. Mit diesem demografischen Wandel verändern sich auch die Lebensentwürfe. Ich hatte den Eindruck, dass dieses Thema in der Organisationsentwicklung nie richtig angekommen ist. Man orientiert sich nach wie vor an einem Arbeitsleben bis 64/65 Jahre und dehnt den Ruhestand aus. Die Schweiz ist auch das einzige OECD-Land, welches keine Gesetzgebung gegen Altersdiskriminierung hat. Ein Berufswechsel mit 50 Jahren ist heute noch schwierig, wäre für ein gutes, langes Leben aber entscheidend. Wir von Spurenwechseln glauben, eine Vernetzung von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern hilft, Strukturen zu verflüssigen und die Arbeitswelt so zu gestalten, dass Wechsel möglich sind.
Worin sieht Spurenwechseln ihren Mehrwert für die Gesellschaft?
Wir arbeiten an der Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft im demografischen Wandel und helfen mit, gesunde Langlebigkeit zu fördern. Worauf wir uns mit Spurenwechseln besonders fokussieren, sind massgeschneiderte, konkrete Vorschläge und Konzepte, die verständlich und einfach umsetzbar sind. Wir haben jedes Jahr einige Standardthemen, um in Organisationen Impulse zu setzen, Massnahmen zu entwickeln und Wirkung zu erzielen.
Wie gehen Sie hier konkret vor?
Ich habe beispielsweise in den letzten zweieinhalb Jahren ein Citizen Science Forschungsprojekt auf die Beine gestellt. Zusammen mit einem Sozialversicherungsjuristen von der Uni Zürich und vielen Ehrenamtlichen haben wir untersucht, unter welchen Bedingungen lange und engagierte Lebenswege zu Stande kommen. Denn etwa zwischen einem Drittel und einem Viertel der Leute arbeitet über das Rentenalter hinaus. Das sind die, die eigentlich die Anpassung an den demografischen Wandel auf eine intelligente Art für sich vollzogen haben. Uns hat interessiert, was die Bedingungen sind, unter denen man das macht. Bis jetzt geht immer noch ein Drittel der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorzeitig in Pension. Im Citizen Science Forschungsprojekt wurden die Lebenswege von 25 Männern und 25 Frauen über 70 genau untersucht. Wir wollten herausfinden, welches die Weichenstellungen waren und warum sie mit 70 Jahren noch immer tatkräftig arbeiten. Da gibt es ein paar wertvolle Erkenntnisse.
Welches sind die zentralsten Einsichten?
Die Leute arbeiten dann weiter, wenn sie eine persönlich passende Tätigkeit gefunden haben, die sie erfüllt und in der sie viel Resonanz erfahren. Zudem müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Das heisst, wenn sie etwa als Selbstständige oder Künstlerin oder Künstler über ihre Produktionsmittel verfügen, dann schickt niemand sie in Pension. Sehr viele Arbeitnehmende sind auf arbeitsteilige Strukturen oder Einrichtungen angewiesen.
In diesem Forschungsprojekt haben wir aber auch noch etwas ganz Wichtiges erkannt: Wer auch nach 70 interessiert und neugierig ist, hat oft in der Lebensmitte, häufig nicht freiwillig, ganz wesentliche Umstiege vollzogen. Privat oder beruflich. Eine fundamentale Neuorientierung in der Lebensmitte entpuppt sich also als ein wirksamer Jungbrunnen, die Neuorientierung bringt einen Entwicklungsschub. Wir legen unseren Mitgliederfirmen ans Herz, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einen solchen Jungbrunnen zu schicken.
Wie definieren Sie die Mitte?
Dies ist je nach Branche, Geschlecht, Persönlichkeit und privater Situation unterschiedlich. Bei Google, Facebook und ähnlichen Unternehmen liegt sie vielleicht unter 40 Jahren. In der öffentlichen Verwaltung kommt sie später. Ich denke in der Finanzbranche ist es vielleicht Ende 40. Es kommt auch auf die Familienrollensituation an. Die Mitte sehe ich so zwischen 38 und 58.
Welche Themen beschäftigen Organisationen derzeit?
In den Medien wird ständig gesagt, die Jungen möchten nicht mehr arbeiten und die Alten seien die fleissigen. Was wir in dieser Form neu haben, ist, dass der Stellenwert von Arbeit sich stark verändert hat. Wenn jüngere Paare die Care-Arbeit besser aufteilen und dadurch auch Männer für ein paar Jahre beruflich zurückstecken, finde ich dies persönlich sehr schön. Das verändert die Standardbiografie. So bekommt die Care-Arbeit einen anderen Stellenwert gegenüber der Erwerbsarbeit. Und das hat Folgen. Praktisch alle jüngeren Herren in meinem Umfeld arbeiten höchstens 80 %, wenn die Kinder noch klein sind. Auch reduzieren viele ihr Arbeitspensum für Weiterbildungszwecke. Der Stellenwert der Arbeit in ist den jüngeren Generationen variabler: wenn die Kinder aus dem Nest sind, wollen die Eltern oft neu durchstarten. Mit einer sinnstiftenden Tätigkeit. Jetzt ist die Frage, wie gehen wir innerhalb einer Organisation mit diesen sehr unterschiedlichen Vorstellungen um?
Wir von Spurenwechseln wollen dieses Thema diskutierbar und produktiv machen. Wir haben deshalb Instrumente entwickelt, mit denen man dieses Fragen aufgreifen kann, ohne gleiche eine Spannung zwischen Alt und Jung aufzubauen. So kann man in die Kulturentwicklung investieren und überlegen, wie man das Thema produktiv angehen möchte. Es müssen alle einen Schritt aufeinander zugehen.
Haben Organisationen Angst, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter davonlaufen könnten, wenn sie in den Jungbrunnen geschickt werden? Oder sind sie sich schon heute bewusst, dass sie in erster Linie zufriedene und motivierte Mitarbeitende benötigen?
Längst nicht alle haben dieses Bewusstsein. Viel weniger als eigentlich müssten. Ich glaube, es braucht einen Arbeitsmarkt, in dem man auch von anderen Organisationen profitieren kann, die ebenfalls neue Weichenstellungen in der Mitte unterstützen. Dadurch wird eine grössere Welle an Stellenwechseln generiert. Wenn der gesamte Arbeitsmarkt flüssiger wird, dann profitieren alle davon, denn es kommen dann Motivierte direkt aus dem Jungbrunnen auf den Markt. Ein weiterer Vorteil ist, dass es weniger «Alteingesessene» geben würde, die man noch bis zur Pension mitzieht. Dies erlebe ich sehr oft. Das ist weder für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber noch für die Betroffenen selbst förderlich und überschattet den Ruhestand massiv.
Leider kommen in der momentan wirtschaftlich sehr herausfordernden Zeit solche Themen zu kurz. Doch nach meiner Erfahrung wachsen Menschen gerade in hektischen Zeiten über sich hinaus. Deshalb wäre es umso wichtiger, langfristig in die Kulturentwicklung von Organisationen zu investieren.
Bei Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
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