2024 darf aus Vorsorgesicht zweifellos als Jahr der emotionalen Achterbahnfahrten bezeichnet werden. Schon zu Jahresbeginn liess die Agenda der eidgenössischen Volksabstimmungen erahnen, dass eine politische Abstimmungsschlacht die nächste nahtlos ablösen würde. Dabei lief erst gerade die Umsetzung der ersten grossen AHV-Reform seit 27 Jahren an und die Bevölkerung begann sich allmählich in den neuen Bestimmungen zu Übergangsjahrgängen, Referenzalter, flexibilisiertem Rentenbezug und Mehrwertsteuererhöhung zurechtzufinden.
Stabilisierung der AHV-Finanzen währte nur kurz
Da stand im März schon die Abstimmung über zwei AHV-Initiativen an. Die Renteninitiative der FDP galt mit der Forderung nach einer Erhöhung des Rentenalters auf 66 Jahre von Anfang an als chancenlos. Jedoch überraschte die deutliche Zustimmung zur Initiative für eine 13. AHV-Rente. Besonders, weil mit der «AHV 21» die Finanzen der ersten Säule gerade erst wieder in ein vorübergehendes Lot gebracht wurden und sich nun ein erneutes Milliardenloch auftat, dessen Lösung im Abstimmungskampf beharrlich unter den Teppich gekehrt wurde. Der Bundesrat hat nun im Oktober 2024 vorgeschlagen, die Finanzierung über eine erneute Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0.7 % zu lösen. Soll dies rechtzeitig mit der Einführung der Zusatzrente im Jahr 2026 geschehen, muss das Parlament bis im März 2025 darüber beraten haben, denn die Mehrwertsteuererhöhung muss zwingend noch im Herbst 2025 vors Volk.
Verpasste Reform der zweiten Säule und Zahlenwirrwarr zur AHV
Im Sommer zeigte sich dann, dass die Bevölkerung durchaus auch in Vorsorgefragen den Empfehlungen des Bundesrates folgt, indem sie die beiden Krankenkasseninitiativen ablehnte. Alles blickte nun nach vorne und Politik wie auch Verbände brachten sich für die letzte grosse Vorsorgeschlacht des Jahres in Stellung, die am 22. September 2024 mit der Abstimmung über die Reform der beruflichen Vorsorge bevorstand. Da erhitzte die Nachricht über fehlerhafte Formeln im Berechnungsprogramm zu den AHV-Finanzperspektiven die politische Gemütslage zusätzlich. Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat das drohende Finanzierungsdefizit der AHV bis ins Jahr 2033 um insgesamt CHF 14 Milliarden überschätzt. Zwar gerät die AHV auch nach den korrigierten Zahlen mittelfristig noch in deutliche Schieflage, aber das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Behörde wurde erheblich beschädigt. Noch im Dezember 2024 wird nun das Bundesgericht darüber befinden, ob das Ergebnis der Volksinitiative zur «AHV21» und insbesondere der damit verbundenen Anhebung des Frauenrentenalters aufgrund der falschen Prognosen annulliert wird. Dies war nach Bekanntwerden des Zahlenpatzers von linker Seite gefordert worden. Wird dem Begehren stattgegeben, schnellt das Finanzierungsdefizit der AHV bereits im Jahr 2027 um CHF 2 Milliarden in die Höhe.
Im Herbst kam dann die Ablehnung der Reform der zweiten Säule nicht unerwartet, fiel aber mit einem Anteil von zwei Dritteln doch sehr hoch aus. Die zahlreichen Verbesserungen, insbesondere bei tiefen Löhnen, Teilzeit- sowie Mehrfachbeschäftigten, vermochten nicht im selben Mass zu mobilisieren, wie der drohende Leistungsabbau infolge sinkender Rentenumwandlungssätze. Es zeigte sich einmal mehr, dass gegen die Interessen der wählerstarken Babyboomer-Jahrgänge im Vorsorgebereich derzeit keine Abstimmung zu gewinnen ist. Expertinnen und Experten rechnen damit, dass Leistungskürzungen in den Sozialversicherungen oder die Erhöhung des Rentenalters erst dann eine politische Mehrheit erhalten, wenn sie einen Grossteil der abstimmenden Bevölkerung nicht mehr direkt betreffen, was vermutlich in 10 bis 15 Jahren der Fall sein wird.
Anhaltender Reformdruck in der ersten Säule
Neben den grossen Abstimmungen lieferten sich die politischen Exponentinnen und Exponenten in diesem Jahr auch hinter den Kulissen zahlreiche Scharmützel. Bereits sind nächste Ausbauideen lanciert, wie beispielsweise die Volksinitiative der Mitte-Partei zur Aufhebung der gedeckelten Ehepaarrente. Der Bundesrat hat im Oktober den Finanzierungsbedarf dieses Vorhabens anhand der korrigierten AHV-Finanzperspektiven auf rund CHF 3.8 Milliarden geschätzt. Folglich lehnt er die Initiative ohne Gegenvorschlag ab und riskiert damit eine Wiederholung des Abstimmungsdebakels, wie er es bei der 13. AHV-Rente unlängst erlebt hat. Andererseits versucht der Bundesrat durch eigenes Handeln das taumelnde Drei-Säulen-System zu stabilisieren und es gleichzeitig an die gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen. Erst im Oktober 2024 hat er seine Botschaft zur Änderung bei den Witwen- und Witwerrenten in der AHV zuhanden des Parlamentes verabschiedet. Demnach soll dieser Rentenanspruch künftig unabhängig vom Zivilstand jeweils dem überlebenden Elternteil zukommen, bis das jüngste Kind 25 Jahre alt ist. Das verbessert zwar die Situation der Männer, beschneidet aber die bisher lebenslang geschuldeten Renten der Frauen und spart so in der Summe rund CHF 350 Millionen ein. Der Fairness halber ist allerdings zu erwähnen, dass diese Neuerung vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angestossen wurde, der 2022 die Ungleichbehandlung von Mann und Frau in der Schweiz verurteilte.
Verunsichernde Zeichen aus Bundesbern
Auch in anderen Bereichen hat in Bundesbern der Spareifer Einzug gehalten. Im Zuge der Bereinigung des Bundeshaushalts ist aktuell auch eine Reduktion der Steuervergünstigungen beim Kapitalbezug aus Vorsorgegeldern in Diskussion. Dies kann durchaus als Angriff auf die verfassungsmässige Aufgabe gesehen werden, die freiwillige Selbstvorsorge auch durch steuerliche Anreize zu fördern, denn sie würde schlimmstenfalls auch die Bezüge aus der Säule 3a betreffen und somit für verantwortungsvolle Sparerinnen und Sparer die Regeln während des laufenden Spiels ändern. Die Vorschläge kommen im Januar 2025 in die Vernehmlassung. Es ist nicht vor dem Herbst 2025 mit einem Umsetzungsvorschlag zu rechnen und aufgrund der bereits heute heftigen Reaktionen scheint ein Referendum als gesichert.
Auch die Umsetzung der Motion für ein Recht auf Nachzahlung in der Säule 3a für Jahre, in denen aus finanziellen Gründen keine (vollständige) Einzahlung möglich war, zeigt die Unlust des Bundesrats deutlich, die Selbstvorsorge durch Steueranreize zu stärken. Per 2025 erfolgt nun eine Verordnungsanpassung, nach welcher künftige Beitragslücken mit begrenzten Nachzahlungen geschlossen werden können. Die ursprüngliche, vom Parlament gutgeheissene Forderung ging aber deutlich über die jetzige Lösung hinaus.
Zurzeit verbindet sich im Sozialversicherungsgefüge also eine beharrliche Reformresistenz mit einer Anfälligkeit für Wünsche politisch motivierten Leistungsausbaus, dessen Finanzierungsfrage auf später vertagt wird. Gleichzeitig droht der Bundesrat mit der Beschneidung von Steuervorteilen im Bereich der freiwilligen Selbstvorsorge und wählt zur Finanzierung der Mehrausgaben fortwährend das Mittel der Mehrwertsteuerhöhung. Dies geht in der Summe insbesondere zulasten der jüngeren Bevölkerung und stellt den bereits angespannten Generationenvertrag auf eine gefährliche Zerreissprobe.
Bei Fragen zu diesem Thema stehen Ihnen unsere Kundenberaterinnen und Kundenberater gerne zur Verfügung.
Bei Anregungen zum Notablog wenden Sie sich bitte an notablog@rahnbodmer.ch.
Rechtliche Hinweise
Die Informationen und Ansichten in diesem Blog dienen ausschliesslich Informationszwecken und stellen insbesondere keine Werbung, Empfehlung, Finanzanalyse oder sonstige Beratung dar. Namentlich ist dieser weder dazu bestimmt, der Leserin oder dem Leser eine Anlageberatung zukommen zu lassen, noch sie oder ihn bei allfälligen Investitionen oder sonstigen Transaktionen zu unterstützen. Entscheide, welche aufgrund der vorliegenden Publikation getroffen werden, erfolgen im alleinigen Risiko der Anlegerin oder des Anlegers.
Weitere Beiträge von Markus Hürzeler