Anfangs 2019 waren weltweit gerade 5,6 Millionen Elektroautos in Betrieb, was knapp einem halben Prozent aller eingelösten Fahrzeuge entspricht. Doch die jährlichen Wachstumsraten sind mit 50 – 60 % beachtlich. Allerdings ist die Ökobilanz der Elektromobilität wegen der Rohstoff- und CO2-Intensität der Batterieherstellung noch nicht gerade schmeichelhaft.
Einmal mehr spielt ein unter Zukunftsforschern bekanntes Phänomen: Tiefgreifende Veränderungen werden oft überschätzt, was ihre Geschwindigkeit betrifft, aber meist stark unterschätzt, was ihre Breitenwirkung anbelangt. Noch vor wenigen Jahren als Nischenprodukt für Exzentriker belächelt, wird es nun in wenigen Jahren Mainstream sein: Das Elektromobil.
Die Euphorie ist gross
Das war eine Ansage! Zwei bis drei Millionen elektrische Fahrzeuge will Volkswagen ab 2025 jährlich verkaufen, also ungefähr jedes vierte Auto, das aus den Montagehallen des grössten deutschen Autokonzerns rollt. Der neue Kompaktwagen ID.3 soll dabei als Zugpferd dienen. An der diesjährigen Internationalen Automobil-Ausstellung IAA in Frankfurt am Main, der wohl bedeutendsten Mobilitäts-Messe weltweit, gaben sich alle grossen Namen der deutschen Autoindustrie optimistisch – um nicht zu sagen euphorisch. Passend zum Trend war auf der Messe mit der New Mobility World auch eine wichtige Plattform für die Mobilität der Zukunft präsent.
Auch die Luxusmarken sind mit dabei
Auch Porsche setzt viel Hoffnung in seinen neuen Elektroflitzer Taycan und will bis in vier Jahren gar die Hälfte des Umsatzes mit Elektrofahrzeugen bestreiten. Mercedes setzte ebenfalls ein starkes Zeichen: Mit dem EQC 400 präsentierten die Stuttgarter ein kleines elektrisches Kraftpaket, das lautlose 408 PS auf die Räder bringen soll. BMW ist derweil schon fast ein alter Hase im Elektrogeschäft. Mit seinem i3 ist das Unternehmen seit 2013 am Start und hat seither rund 150’000 Elektrowagen verkauft.
Kulturwandel auf breiter Front
Es gibt kaum ein Autobauer, der sich dem Trend entziehen kann und nicht ein Elektroauto im Programm hätte. Die meisten Neuzulassungen vermeldet aber nach wie vor Elon Musks Tesla. Fast eine Viertelmillion waren es allein 2018. Danach folgen die chinesischen Marken BYD und BAIC, die hauptsächlich auf ihrem Heimmarkt aktiv sind. In Japan ist Honda auf den Zug aufgesprungen und will bis 2030 zwei Drittel seiner Verkäufe auf Elektroantrieb ausrichten. Im Reich der aufgehenden Sonne steht dabei nicht nur die Batterie als Speicher im Vordergrund. Präsident Shinzo Abe setzt sich höchst persönlich mit Subventionen für die Entwicklung und Verbreitung der Wasserstoff-Technologie ein.
Die Rohstoff- und C02-Intensität der Batterieherstellung ist noch ungelöst
Während die leisen Flitzer mit «Null lokale Emissionen» beworben werden und tatsächlich für sauberere Luft in Ballungszentren sorgen – vom Reifenabrieb mal abgesehen – ist ihre Ökobilanz aufs Ganze betrachtet etwas weniger schmeichelhaft. Der Hauptgrund liegt zum grossen Teil in der Rohstoff- und CO2-Intensität der Batterieherstellung. So rollt ein fabrikneues, reines Elektroauto der Golfklasse sozusagen mit einem tonnenschweren CO2-Rucksack aus der Montagehalle und holt seinen Benzin verbrennenden Bruder punkto Umweltbilanz erst nach knapp 40’000 km Fahrt ein. Und dies auch nur dann, wenn es stets mit erneuerbarem Strom betankt wird, was in Europa heute noch fern der Realität ist.
Sauberer Strom ist Teil der Ökobilanz
In Deutschland stammen 33 % des Stroms aus erneuerbaren Quellen, 40 % kommen aus Kohlekraftwerken. In der Schweiz ist die Energie aus der Steckdose etwas grüner: 60 % ist Wasserkraftstrom, 32 % Atomstrom, 4 % sind neue Erneuerbare (Wind- und Solarenergie). Aber auch wir müssen uns so Einiges einfallen lassen, wenn dereinst alle Autos von Herr und Frau Schweizer mit sauberem Strom betrieben werden sollen. Die derzeit sechs Millionen Autos auf Schweizer Strassen würden nämlich fast so viel elektrische Energie benötigen, wie unsere Kernkraftwerke produzieren. Und letztere werden nicht ewig am Netz bleiben.
Grosse Umwälzungen in der Automobilbranche
Somit ist eines klar: Besonnenheit und sorgfältige Energieplanung sind angesagt. Derweil stehen den Automobilherstellern weltweit einiges an Umwälzungen ins Haus. Die Branche erwirtschaftet jährlich gut CHF 150 Mrd. Gewinn, wovon 100 Mrd. rückinvestiert werden müssen und CHF 35 Mrd. als Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet werden. Unter dem Strich bleibt der Industrie also ein enger finanzieller Spielraum von nur zusätzlichen 15 Investitionsprozenten für neuartige Antriebstechnologien und selbstständig fahrende Autos. Das ist nicht viel. Grosse Hersteller mit Skaleneffekten sind hier eindeutig im Vorteil. Die Konsolidierung der Branche dürfte weitergehen.
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