Im dritten Teil unseres Denkanstosses zum Thema Notfallkonzept für Familienunternehmen gehen wir der Frage nach, wie Unternehmen sich konkret auf den Notfall vorbereiten können. Im Gespräch teilen Martin H. Bidermann, Partner Rahn+Bodmer Co., Karim Twerenbold, Geschäftsleiter Twerenbold Reisen AG und Pablo Hafner, CEO, externer Verwaltungsrat und Berater von Familienunternehmen, ihre Erfahrungen. Das Gespräch führte Dominik Staffelbach, verantwortlich für Familienunternehmen bei Rahn+Bodmer Co.
Kann man sich auf Notfälle vorbereiten und falls ja, wie?
Pablo Hafner: Die meisten Firmen, die ich betreue, sind nicht vorbereitet. Allerdings muss man unterscheiden zwischen jungen Unternehmen und solchen, die bereits in der dritten Generation oder sogar noch länger bestehen. Langjährige Unternehmen sind in Krisenzeiten weniger anfällig. Oft haben diese bereits einen grossen Notfall gemeistert und sind strukturmässig mit Familienrat, Verwaltungsrat (VR) und externen Beratern/VR gut aufgestellt. Das heisst, eine gute Unternehmensstruktur ist in Notfällen sehr hilfreich. Dies ist bei jungen Unternehmen in der ersten oder vielleicht zweiten Generation oft nicht der Fall.
Karim Twerenbold, ist Ihr Unternehmen auf den Notfall vorbereitet?
Zu einem seriös handelnden Touristikunternehmen wie wir es sind, gehört ein ausführliches Notfallkonzept dazu, auch wenn man sich wünscht, es nie in die Hand nehmen zu müssen. Ohne Notfallkonzept laufen wir Gefahr, dass wir bei einem Notfall falsch oder zu langsam reagieren. Dadurch könnte ein erheblicher Reputationsschaden entstehen. Deshalb sind wir auf operativer Ebene gut auf Notfälle vorbereitet.Als ich 2011 bei Twerenbold einstieg, war eines meiner ersten Projekte die komplette Überarbeitung des Notfallprozesses. In unserem Betrieb wissen die Leute genau, was wann zu tun ist. ABER: Was ist wenn die verantwortliche Person bei einem Notfall nicht anwesend ist?
Deshalb haben wir einen digitalen und physischen Ordner erstellt, in denen die verschiedenen Notfall-Szenarien aufgezeigt sind und festgehalten ist, wie wir darauf reagieren sollen. Alle Informationen sind zentral in einem Ordner abgelegt und jeder weiss, wo dieser zu finden ist.
Alle zwei Jahre veranstalten wir eine Generalstabsübung, wo wir unvorbereitet verschiedene Krisen/Notfallszenarien üben. Der Tag ist allen bekannt, die Inhalte nicht. So ist die Notfallplanung und –bewältigung ein konstanter Prozess. Es kommen auch immer neue Notfälle/Gefahren hinzu, welche wir nicht auf dem Radar hatten und konsequenterweise wird unser Ordner quartalsweise aktualisiert. Dieses Jahr haben wir den Ordner bereits zwei Mal benötigt.
Kann man sich auf alle Notfälle, beziehungsweise Krisen vorbereiten?
Karim Twerenbold: Diese Fragen kann ich mit einem Nein und Ja beatworten. Mein persönlicher Notfall war der unerwartete Tod meines Vaters 2015 nach einem Fahrradunfall, damit hatte ich natürlich nicht gerechnet. Aber 2012 hatte ich meinen Vater gebeten, mit mir die Nachfolge zu planen, diese haben wir noch vor dem Tod meines Vaters abgeschlossen. Natürlich funktionierte nicht alles sofort perfekt, aber wir waren soweit es geht, gerüstet.
Martin Bidermann: Der Notfall kommt immer von dort, wo man ihn nicht erwartet. Wir haben uns beispielsweise darauf vorbereitet, dass unsere hauseigenen Systeme durch Cyber Attacken oder Hochwasser nicht mehr funktionieren. Dies ist nie eingetreten. Es kam jedoch von unerwarteter Seite ein Notfall, als verschiedene Schweizer Banken in Amerika vorgeladen wurden und einige Banken in Folge dessen sogar verkauft werden mussten. In dieser Situation haben wir festgestellt, dass eine schnelle Reaktion und vor allem eine offene Kommunikation bei der Bewältigung einer Krise eine ganz wichtige Rolle spielen. Diese zwei Punkte kann man im Voraus planen. Wie stimmen wir uns über die Inhalte der Kommunikation ab? Welche Anspruchsgruppe benötigt welche Informationen? Wer tritt gegen aussen auf?
Neben den von Karim Twerenbold beschriebenen operativen Notfällen gibt es ja auch Krisen auf strategischer Ebene. Wie kann man sich auf diese vorbereiten?
Pablo Hafner: Ich bin für eine klare Trennung der Aufgaben zwischen Geschäftsleitung (GL) und Verwaltungsrat (VR). Meiner Meinung nach ist sehr wichtig, dass sich die Geschäftsleitung um operative Themen und damit auch um kurz- und mittelfristige Krisen kümmert und der VR – der die GL in strategischen Themen komplementiert – für potentielle, künftige Krisen auf Aufsichtsebene zuständig ist.
Die operative Tätigkeit benötigt viel Energie, da hat man meist zu wenig Zeit, um über die potentiellen langfristigen Risiken der Firma nachzudenken. Der VR hingegen sollte die langen strukturellen Trends und Herausforderungen verfolgen. Die Schnittstelle zwischen GL und VR sollte den Austausch zwischen operativer und strategischer Ebene erlauben, diese Schnittstelle muss korrekt definiert werden. Eine weitere wichtige Funktion des VRs ist es, die Gesamtsicht über die verschiedenen Bereiche des Unternehmens zu haben. Nehmen wir eine Unternehmung mit vier Geschäftsbereichen und jeweils vier Bereichsleitern in der Geschäftsleitung: Jedes GL-Mitglied kennt seine Risiken genau für seinen Bereich. Die sich daraus ergebenden Gesamtrisiken – wie übrigens auch die Synergien – gehen jedoch ohne ein überlagertes Organ verloren.
Karim Twerenbold: Ich sehe dies auch so. Durch die zunehmend komplexer werdende Welt ist eine Trennung und klare Aufgabenteilung zwischen VR und GL von zunehmender Bedeutung. Diese Thematik geniesst auch bei uns eine hohe Priorität. Ich habe mich bei diesem Prozess professionell beraten lassen, das hat sehr geholfen. Ein strukturiertes Vorgehen führte in diesem Fall zu einem stimmigen Resultat.
Rahn+Bodmer Co. ist von der Struktur her keine AG und hat deshalb keinen VR im eigentlichen Sinne. Wie ist Rahn+Bodmer Co. für den Notfall vorbereitet?
Martin Bidermann: Wir sind eine Kommanditgesellschaft d.h. ich bin ein sogenannter “hyperaktiver VR”. Wir Partner sind täglich im Büro- wie auch die GL- und sprechen uns täglich ab. Wenn ein Notfall eintritt, reagieren wir situativ sehr schnell. Dies können wir, weil wir einerseits alle im selben Gebäude sind und auf der anderen Seite auch sämtliche Rechte an der Kommanditgesellschaft bei unseren fünf Partnern liegen – wir haben die volle Entscheidungskompetenz.
In welchen anderen Bereichen sollte sich aus Ihrer Sicht ein Unternehmen auch noch vorbereiten?
Martin Bidermann: Auf der privat- und güterrechtlichen Seite sind wir durch Ehe- und oder Erbverträge sowie Vorsorgeaufträge vorbereitet. Wir sind sogar so weit gegangen zu regeln, was passiert, wenn meine ganze Familie durch einen Unfall ausfällt. Die Bank soll in sich selbst geschützt sein.
Karim Twerenbold: Als Resultat des Todes meines Vaters haben wir sämtliche rechtliche Dokumente erstellt, beziehungsweise angepasst, welche für den Fortbestand der Unternehmung notwendig sind und welche auch die private Seite regeln. Als Unternehmer tragen wir eine grosse Verantwortung, vor allem auch gegenüber den Mitarbeitenden. Diesem Umstand muss in einem Notfall Rechnung getragen werden.
Pablo Hafner: Ein weiterer wichtiger Punkt ist derjenige des Stellvertreters/der Vertrauensperson in Krisensituationen. Ein Besitzerin eines Familienunternehmens hatte einen Hirnschlag und übertrug mir die Position als Stellvertreter/Vertrauensperson auf VR-Ebene. Sieben Jahre passierte nichts und die Eigentümerin überlegte sich schon, ob sie mich noch benötige. Dann kam Corona und die Eigentümerin erkrankte. Der Vorteil der Stellvertretung/Vertrauensperson liegt nicht bloss im Einspringen im Notfall, sondern in einem langfristigen Sparring Partner, der den Eigentümer unterstützt und hinterfragt. Dies aus Sicht des Experten, welcher nicht im Daily Business involviert ist.
Martin Bidermann, ich möchte überleiten auf die Familie. Die ganzen operativen Vorbereitungen nützen nichts, wenn die Familie keine Governance hat und zerstritten ist. Es gibt genügend Beispiele von Familienunternehmen, die deswegen untergegangen sind. Wie stellen Sie sicher, dass Rahn+Bodmer Co. für diesen Notfall gewappnet ist?
Mein wichtigster Tipp: Kommunikation. Wir machen jährlich einen Familientag, an dem alle Familienmitglieder, die älter als 18 Jahre alt sind, ins Unternehmen kommen und sich einen Tag lang informieren können. Der CEO, Chief Legal und weitere Personen der GL berichten über Herausforderungen, Geschäftsergebnisse und vieles mehr. Jedes Familienmitglied darf jede erdenkliche Frage stellen. So stellen wir sicher, dass mögliche Unstimmigkeiten früh erkannt und adressiert werden. Ein wichtiger Bestandteil dieses Tages ist Christian Rahn, welcher über den Stand der Nachfolge offen kommuniziert. Diese Art der Kommunikation soll eine Informations-Asymmetrie bei den drei Familien vermeiden helfen.
In meiner Familie halten wir nach diesem Tag jeweils einen Familienrat ab. Dabei frage ich alle, wie sie den Tag in der Bank erlebt, was sie gelernt und welchen Eindruck sie von anderen Kinder der anderen Familien gehabt haben. Dadurch stelle ich sicher, dass jedes Familienmitglied den gleichen Wissensstand hat. Ebenfalls Teil dieses Familienrats ist meine Erklärung zu meinem persönlichen Zukunftsplan. Es ist die permanente Kommunikation, die bei uns als zentrales Element auf der Familienseite im Zentrum steht, um Streitigkeiten und dadurch Krisen zu verhindern.
Karim Twerenbold: Für mich ist es ebenfalls sehr wichtig, die Familie mit auf den Weg zu nehmen. Das setzt natürlich voraus, dass die Familie versteht, von was man spricht und somit auch ins Geschäft involviert ist. Mein Vater war Alleinaktionär, hat aber trotzdem mit all seinen Geschwistern jährlich eine Familien- GV organisiert. Dies mache ich heute noch. Die Geschwister meines Vaters sind immer noch stark emotional an das Unternehmen gebunden. Auch wenn die meisten Mitglieder heute nicht mehr aktiv im Unternehmen tätig sind, sind sie stolz, dass sie einen Beitrag leisten können. Kommunikation ist in Familienunternehmen zentral.
Pablo Hafner, wie gehen Sie mit dem Thema Familie und Family Governance in den Unternehmen um, wo sie aktiv sind?
Ein Familienunternehmen muss eine Governance-Struktur haben, die funktioniert. Es gibt viele Firmen, die eine haben, diese aber nicht leben. Ich mache ein Beispiel: Ein Familienunternehmen, das ich beraten habe, hatte eine intakte Family Governance Struktur. Diese wurde jedoch durch einen sehr starken und dominanten Patron geprägt. Die verschiedenn Mitglieder sagten nie etwas gegen diese Person. Dies ist aus Krisensicht die gefährlichste Situation für ein Unternehmen. Gegensteuer kann man mit einem funktionierenden VR geben.
Lassen Sie mich noch etwas bezüglich Kommunikation hinzufügen: Es gibt formelle und informelle Kanäle. Bei einer Unternehmerfamilie läuft man Gefahr, dass man sich auf informeller Basis sehr gut austauscht. Es ist jedoch wichtig, dass man regelmässig und gezielt auf der formellen Ebene kommuniziert. Man sollte alltägliche Probleme und langfristige Sachen nicht in einem Gespräch vermischen. Für das informelle kann der abendliche Küchentisch dienen. Für die langfristigen, grossen Themen der Familie sind aus meiner Sicht jedoch formelle Meetings der Familie unabdinglich.
Was schlagen Sie als Minimalstruktur für eine Familien-Governance vor?
Pablo Hafner: Der erste Schritt ist die Frage: Welches sind die Mitglieder der Familie? Mit der Beantwortung dieser Fragen ist ein wichtiger Teil der Governance bereits definiert. Als zweites geht es um die Familienstrategie. Diese ist die Grundlage für die Unternehmensstrategie. Ohne eine solche kann es in Krisen zu einer Verlangsamung des Lösungsprozesses kommen und damit gefährlich für das Unternehmen werden. Ich kenne eine Unternehmung, wo zwei Familien involviert waren. Die eine Familie hat die andere jedoch stark dominiert. Nach 20 – 30 Jahren führte dies dazu, dass die Unternehmensstrategie nicht mehr der Familienstrategie der schwächeren Familie entsprach. Diese Unternehmung hatte dann ein sehr grosses Problem, als es um die Nachfolge ging.
Karim Twerenbold: Dem stimme ich voll und ganz zu. Die Familie muss sich zuerst im Klaren sein, was sie will. Erst dadurch kann sie das Überleben der Familienunternehmung langfristig sicherstellen.
Als letztes Thema möchte ich noch den dritten Kreis von John Davis aufnehmen: das Vermögen. Wie kann/soll man sich von der finanziellen Seite her auf eine Krise vorbereiten?
Martin Bidermann: Als Bank benötigen wir viel Kapital. In der Kommanditgesellschaft gibt es zwei Arten von Gesellschafter. Komplementäre, die in der Bank arbeiten und mit ihrem privaten Vermögen unbeschränkt für die Verbindlichkeit der Unternehmung haften. Die weiteren Gesellschafter — die Kommanditäre — haften nur bis zur Höhe ihrer Einlagen. Sie haben bloss sehr eingeschränkte Kontrollrechte. Durch diese Struktur haben wir vorgesehen, dass Kommanditäre, wie dereinst möglicherweise meine Tochter, an der Bank beteiligt sind, aber nicht für die Bank arbeiten. Die finanzielle Unabhängigkeit der Bank und den Fortbestand können wir so sicherstellen.
Karim Twerenbold: Wir leben nach der Philosophie: Die Unternehmung hat das Kapital erarbeitet, also steht das Kapital in der Krise auch der Unternehmung zur Verfügung. Wir haben aber bei der Erstellung der Holding sämtliche private Vermögen aus der Unternehmung herausgelöst und die Unternehmensstruktur vereinfacht. Selbstverständlich ist es aber auch wichtig, auf privater Ebene abgesichert zu sein.
Pablo Hafner: Es gibt viele verschiedene Fälle und Möglichkeiten, dies zu lösen. Ich kenne eine Familie, die fordert von ihren Familienmitgliedern Entrepreneurship und hat im Family Office Geld, das den Mitgliedern für unternehmerische Investitionen zur Verfügung steht. Dies hat dazu geführt, dass die Unternehmung mittlerweile geschäftlich stark diversifiziert ist.
Bei Fragen zu diesem Thema stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
notablog@rahnbodmer.ch
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