Das Gros der Auguren geht von einem hohen Wachstum im zweiten Halbjahr 2021 und anhaltend tiefen Zinsen aus. Grundsätzlich wäre dies ein guter Nährboden für steigende Aktienkurse. Ins Auge sticht aber, dass die Wachstumsprognosen und die Einschätzungen der Märkte für 2021 ungewöhnlich nahe beieinanderliegen und Risiken weitgehend ausgeblendet werden.
Grob zusammengefasst geht der Konsens davon aus, dass die Pandemie mit der Durchimpfung unter Kontrolle gebracht werden kann und sich ein global synchroner Nachfrageschub einstellt, der durch die Fiskal- und Geldpolitik stark gestützt wird. Wenn man diese optimistischen Erwartungen in den Kontext mit den starken Marktavancen der vergangenen Monate und den hohen Bewertungen setzt, stellt sich die Frage, was schieflaufen und zu einer Stimmungsverschlechterung führen könnte. Im Folgenden werden drei mögliche Stolpersteine für die Börse skizziert.
Die Euphorie überbordet
Die wichtigen Stimmungsindikatoren sind in den letzten Wochen weit über die Durchschnittswerte gestiegen. Ausschlaggebend dafür waren die überraschend guten Ergebnisse der Impfstoffstudien und die beschleunigten Zulassungsverfahren. Nach der Bekanntgabe der ersten Studienresultate Mitte November haben die Märkte die Wachstumserwartungen rasch nach oben revidiert. Die statistischen Befunde sind eindeutig: Wenn die Stimmungsindikatoren hohe Niveaus erreichen, steigen die Korrekturrisiken. Eine gute Stimmungslage zeichnet sich dadurch aus, dass sie auch schlechte Nachrichten eine gewisse Zeit lang wegstecken kann. Je länger die Märkte die negativen Aspekte jedoch ausblenden, desto stärker steigt die Gefahren einer Korrektur. Umgekehrt bilden Stimmungstiefs häufig die Grundlage für überdurchschnittliche Avancen. Dass die Stimmungslage ausgesprochen gut ist, belegen unter anderem die wachsenden Kaufvolumen privater Investoren oder das tiefe Volumen-Verhältnis zwischen Put- und Call-Optionen.
Die Notenbanken werden mit steigender Inflation konfrontiert
Sämtliche Auguren, die in den letzten Jahren auf die Gefahren einer Zinswende hingewiesen hatten, unterschätzten den Einfluss der Notenbanken. Mit umfangreichen Assetkäufen haben die Zentralbanken die Anleihenmärkte im abgelaufenen Jahr geradezu vereinnahmt. Das Total der Bilanzsummen der vier wichtigsten Notenbanken ist 2020 von rund USD 4 Bio. auf knapp USD 10 Bio. gestiegen. Das Gros der Käufe umfasste Staatsanleihen. Das gesamte Kaufvolumen entsprach 2020 ungefähr dem enormen Kapitalbedarf der Staaten, der im Zuge der explodierenden Haushaltsdefizite entstand. Mit anderen Worten: Die Notenbanken haben die Defizite gewissermassen finanziert. Die nun von den Notenbanken angekündigten monatlichen Anleihekäufe werden die anhaltend hohen Haushaltsdefizite im laufenden Jahr jedoch bei weitem nicht mehr decken. Konsequenterweise müssten die Renditen steigen, damit der Markt das «überschüssige» Anleihenangebot absorbieren kann oder die Notenbanken müssten die Kaufprogramme erhöhen. Letzteres haben sie seit der Finanzkrise schon mehrfach getan. Die Märkte scheinen sich auf das Narrativ zu verlassen, dass die Notenbanken weiterhin alles tun werden, um Verwerfungen an den Märkten zu verhindern. Dieser Glaube könnte jedoch dann untergraben werden, wenn die Inflation unerwartet stark zu steigen beginnt. Ganz von der Hand zu weisen ist ein solches Szenario nicht, zumal die erweiterten Geldmengenaggregate 2020 stark gestiegen sind und viele Unternehmen höhere Einkaufspreise registrieren. Normalerweise nimmt der Inflationsdruck nur im Umfeld einer starken Nachfragebelebung zu. In diesem Zusammenhang ist es durchaus denkbar, dass die implementierten Stimulusprogramme prozyklisch wirken und diese auf eine schon recht gut ausgelastete Wirtschaft treffen werden.
Dem US-Finanzministerium platzt der Kragen
Mit einer anderen Herausforderung könnte die Schweizerische Nationalbank (SNB) konfrontiert werden. In den letzten Jahren hat sie mit umfangreichen Devisenkäufen gegen eine Frankenaufwertung interveniert. Im Unterschied zu den meisten wichtigen Notenbanken hat sie nicht Inlandsanleihen, sondern Fremdwährungsanleihen, vorwiegend EUR- und USD-Obligationen, gekauft. Keine andere Notenbank in den westlichen Industrieländern hat gemessen an der Grösse der Wirtschaft ihre Bilanz in ähnlichem Ausmass ausgedehnt wie die SNB. Das birgt Risiken. Eine stärkere Frankenaufwertung könne die Rückstellungen der SNB erheblich schmälern. Im Umfeld einer global starken Konjunkturerholung sind die sicheren Währungen zwar weniger gefragt, in den Weg stellen könnte sich hingegen das US-Finanzministerium, das die Schweiz nun offiziell mit dem Vorwurf der Währungsmanipulation konfrontiert. Die US-Behörde hat dafür arbiträr Schwellenwerte definiert, die durchaus hinterfragt werden können. Bedenklich ist jedoch, dass die Schweiz alle drei Schwellenwerte deutlich überschreitet: Der Leistungsbilanzüberschuss liegt mit knapp 10 % weit über der tolerierten Grenze von 2 %. Dies gilt auch für den Handelsüberschuss gegenüber den USA, der mit rund USD 50 Mrd. mehr als doppelt so hoch ist, wie der akzeptierte Schwellenwert von USD 20 Mrd. Zudem hat die SNB mit Interventionen im Umfang von 10 % des BIP auch hier das tolerierte Niveau von 2 % weit überschritten. Abgesehen davon, dass es für die SNB immer schwieriger wird, die Interventionen mit den Deflationsgefahren zu begründen, könnten die USA mit stärkerem Geschütz auffahren. Wenn die USA einen Schritt weitergeht und der Schweiz mit Sanktionen droht, könnte der Franken von einer spekulativen Kaufwelle erfasst werden, welche an der Schweizer Börse zu Verwerfungen führen würde.
Die Technologietitel brechen ein
Zweifellos zählen die grossen IT- und Social-Media-Titel zu den Gewinnern der Corona-Pandemie. Sie waren ausschlaggebend für die starken Avancen der US-Börsen. Ungemach droht den Technologietiteln von drei Seiten: Erstens dürfte das Wachstum im Zuge des erwarteten Abklingens der Pandemie weniger dynamisch verlaufen als 2021. Zweitens werden die teilweise sehr hohen Bewertungen nicht weiter steigen, denn wenn die zukünftigen Gewinne mit höheren Zinsen abdiskontiert werden müssen, sehen sich die Analysten gezwungen, die Kursziele nach unten zu revidieren. Drittens stehen Tech-Giganten auf dem Radar der Politik. So haben die US-Kartellbehörde und eine Mehrheit der US-Bundesstaaten gegen Facebook und Google Anklage wegen unlauteren Marktverhaltens erhoben. Diese Klage wird als schärfste Attacke gegen einen bedeutenden IT-Konzern seit dem Prozess gegen Microsoft vor zwanzig Jahren angesehen. Sie bringt auch Bewegung in die europäische Regulierungsdiskussion. So will Brüssel einen neuen Standard für digitale Plattformen definieren und Verstösse mit rigorosen Bussen sanktionieren. Auch die Digitalsteuer, über deren Einführung sich die Politik mehr oder weniger einig ist, dürfte den Höhenflug der Tech-Giganten bremsen. Wenn die betroffenen Titel unverhofft stark unter Druck geraten, ist nicht auszuschliessen, dass sich die Verunsicherung auf andere Sektoren ausbreitet.
Bei Fragen zu diesem Thema stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
notablog@rahnbodmer.ch
Disclaimer:
Die Informationen und Ansichten in diesem Blog dienen ausschliesslich Informationszwecken und stellen insbesondere keine Werbung, Empfehlung, Finanzanalyse oder sonstige Beratung dar. Namentlich ist dieser weder dazu bestimmt, dem Leser eine Anlageberatung zukommen zu lassen, noch ihn bei allfälligen Investitionen oder sonstigen Transaktionen zu unterstützen. Entscheide, welche aufgrund der vorliegenden Publikation getroffen werden, erfolgen im alleinigen Risiko des Anlegers.
Weitere Beiträge von Urs Brunner