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China zieht weiter

First in, first out: China und Corona

Es gibt Themen, bei denen hat wohl jeder eine Meinung. Und es gibt Themen, die rasch in einer Kontro­verse münden. In beide Kategorien gehört das Thema China. Hitzige Diskus­sionen am Stamm­tisch und oder im Büro sind ja vorerst nicht möglich, Corona sei Dank. Und damit sind wir auch schon mitten im Thema. China, wo die Pandemie 2019 mutmasslich ihren Anfang nahm, ist bereits 2020 wieder voll in die Gänge gekommen. Rigorose Eindäm­mungs­mass­nahmen bewirkten, dass das öffent­liche Leben im Reich der Mitte bereits im Juni vergan­genen Jahres wieder weitgehend unbehelligt und einschrän­kungsfrei vonstat­tenging. Im Schluss­quartal vermel­deten die Statis­tiker ein Brutto­in­land­produkt, das 6.5 % über dem des Vorjah­res­zeit­raums lag. Auf’s ganze Jahr gesehen wuchs die chine­sische Wirtschaft um 2.3 %. China ist damit die einzige grössere Volks­wirt­schaft, die 2020 nicht geschrumpft ist.

Von der Werkbank zur digitalen Gesellschaft

Rasch erholt hat sich insbe­sondere die indus­trielle Produktion, die mehrheitlich über intakte Liefer­ketten verfügt. China wurde seinem Ruf als Werkbank für die Welt noch einmal gerecht und expor­tierte Masken und Homeoffice-Infra­struktur. Die Chinesen hielten sich derweil länger zurück mit Einkäufen. Der inlän­dische Konsum drehte erst im Herbst ins Positive. Im Jahr des Büffels, das im kommenden Februar beginnt und im chine­si­schen Horoskop den Erfolg durch Fleiss versinn­bild­licht, dürften Privat­aus­gaben der rund 1.4 Milli­arden Chinesen dank Nachhol­ef­fekten und Gehalts­er­hö­hungen stark zulegen. Längst ist China dem reinen Werkbank­dasein entflohen. Die Chinesen gelten als überaus digital-affin, das Leben breiter Bevöl­ke­rungs­schichten findet mittler­weile zu weiten Strecken online statt. Apps wie WeChat bieten Nutzern eine riesige Bandbreite an Diensten. Fast ein Viertel der Produkt­ein­käufe im Riesen­reich erfolgt via Internet. Entspre­chend energisch wird in Digita­li­sierung und Infor­ma­ti­ons­tech­no­logie inves­tiert. Auch im Corona-Jahr 2020 flossen 20 % mehr Geld in den E‑Com­merce-Aufbau als noch 2019. Die Dispute mit den USA bei Themen wie Transfer geistigen Eigentums, Kommu­ni­ka­ti­ons­tech­no­logie oder der Chipher­stellung treffen China zwar ins Mark, denn gerade in der Halblei­ter­industrie hinken chine­sische Hersteller den global führenden Produ­zenten weit hinterher. Ob sich eine Zweiteilung der Techno­lo­gie­welten einstellt, ist ungewiss. Doch die Macht­haber in Peking werden alles daran­setzen, mit der «Made in China 2025» Strategie autark und gegen westliche Sanktionen immun zu werden.

Heraus­for­de­rungen und Altlasten bleiben…

Die Inves­ti­tionen in die klassische Infra­struktur dürften in den kommenden Jahren zurück­gehen. China verfügt über moderne Strassen- und Eisen­bahn­systeme. Der immense Rohstoff­hunger auch aus dem Immobi­li­en­sektor lässt allmählich etwas nach, wenn auch auf hohem Niveau. Die Belt-and-Road-Initiative in den 75 parti­zi­pie­renden Ländern wird noch auf einige Jahre hinaus Kapital, Beton und Stahl binden. Nach wie vor wird fast 60 % des weltweit abgebauten Eisen­erzes zur Weiter­ver­ar­beitung nach China verschifft. Doch die Zeiten von billigen Stahl­ex­porten aus China neigen sich aufgrund von westlichen Import­zöllen und dem aufkom­menden inlän­di­schen Kampf gegen die Luftver­schmutzung ihrem Ende zu. Das erzeugt Druck auf die unpro­duktive staat­liche Schwer­industrie. Selbst wenn der nationale Volks­kon­gress den Zielwert für das Inland­wachstum von 6–6.5 % 2019 wieder bestätigt hat: Vielen Chinesen dämmert allmählich, dass Wachstum per se nicht allein­se­lig­ma­chend ist. Der Smog in den Ballungs­zentren wird je länger je weniger als alter­na­tivlos hinge­nommen. China ist noch immer Spitzen­reiter bei der Verstromung von klima­schäd­licher Kohle. Doch man geht auch bei den grünen Techno­logien in die Offensive. Aktuell wird fast jede zweite Windturbine der Welt auf chine­si­schem Boden errichtet. Chinas Versprechen, bis 2060 Netto-Null-Emissionen zu erreichen, entspräche zwei Dritteln aller bisher weltweit von Ländern veran­schlagten Netto-Null-Verpflich­tungen. Dies könnte Chinas Wirtschaft nochmals umpflügen, beginnend mit dem 14. Fünfjah­resplan, der im März 2021 verab­schiedet wird.

…die auch grosse Chancen mit sich bringen

Unter Xi ist China selbst­be­wusster und natio­na­lis­ti­scher geworden. Das Land hat heute eine führende Position in zukunfts­träch­tigen Indus­trien wie Elektro­mo­bi­lität, Photo­voltaik, Robotik oder Drohnen. Auch in der Pharma­ko­logie holt man auf. Die strate­gische und wirtschaft­liche Ausrichtung dürfte in den kommenden Jahren stärker auf die Asien-Pazifik-Region ausge­richtet werden, aber auch auf den Binnen­markt. Gemäss UNO-Schät­zungen werden bis 2030 rund 140 Millionen Personen in chine­sische Städte umziehen und damit ihre Lebens- und Konsum­ge­wohn­heiten anpassen. Das bringt ungeheure Umwäl­zungen mit sich. Beim Brutto­in­land­produkt pro Kopf der Bevöl­kerung liegt China mit knapp USD 11’000 (IMF-Schät­zungen) noch meilenweit hinter westlichen Staaten wie den USA (USD 63’000) oder der Schweiz (USD 82’000) zurück. Es ist kein Geheimnis, dass hier einige Milli­ar­den­märkte schlummern. Dabei wird Peking nicht darum herum­kommen, den Konsum schritt­weise in Richtung einer Kreis­lauf­wirt­schaft zu lenken.

Westliche Anleger sind in China unterinvestiert

Die chine­sische Regierung hat den Finanz­markt weiter geöffnet und die Anzahl der Branchen, in welche auslän­dische Firmen nicht inves­tieren dürfen, reduziert. Der chine­sische Kapital­markt ist nach den USA der zweit­grösste in Bezug auf Breite, Tiefe und Liqui­dität, und doch ist er in den globalen Bench­marks ein Nachzügler. Gleich­zeitig gilt er in weiten Teilen als ineffi­zient. Das heisst, dass kursre­le­vante Daten den Markt­teil­nehmern nicht immer oder erst spät zur Verfügung stehen. Inves­toren bieten sich so attraktive Möglich­keiten beispiels­weise in aktiv gemanagten Fonds. Der Appetit auf chine­sische Aktien hat in den letzten Jahren denn auch stark zugenommen, viel Geld ist in Schwel­len­länder-Fonds geflossen. Doch insgesamt sind westliche Anleger noch immer deutlich unter­in­ves­tiert. China liegt punkto Wirtschafts­kraft hinter den USA auf dem zweiten Platz mit einem globalen Anteil von 18 % (USA: 25 %, Zahlen gemäss IMF). Es steuert sogar ein Drittel zum globalen Wachstum bei. In westlichen Portfolios bildet das Reich der Mitte hingegen meist nur einen Bruchteil dieses Gewichts ab.

Kein einfaches Territorium

U.S. Sanktionen gegen chine­sische Tech-Firmen, Befürch­tungen über den Einfluss der Pekinger Regierung auf den Kapital­markt wie jüngst beim abgesagten Ant Group-Börsengang, Corporate Gover­nance-Probleme (der Fall Luckin Coffee lässt grüssen), aber auch die histo­risch hohe Volati­lität in chine­si­schen Aktien tragen das ihre dazu bei, dass sich diese Situation nicht über Nacht ändern wird. Doch auch Index­an­bieter wie MSCI versuchen, dem steigenden Gewicht Chinas Rechnung zu tragen. So wurden 2018 im MSCI Schwel­len­länder-Index auch sogenannte A‑Aktien aufge­nommen, die an der chine­si­schen Festland­börse gehandelt werden. Der Anteil chine­si­scher Aktien im Index hat sich in den letzten 7 Jahren mehr als verdoppelt auf aktuell 41 %. Dies öffnet den Horizont für passive Inves­toren in Index­pro­dukte. Zumal in der Vergan­genheit die Renditen auf Festland‑, aber auch auf in Hongkong gehan­delten Aktien eine tiefe Korre­lation mit europäi­schen oder ameri­ka­ni­schen Aktien­märkten aufwiesen und somit im Portfo­lio­kontext sogar für höhere Stabi­lität sorgen konnten.
China mag für viele Anleger kontrovers oder unbere­chenbar erscheinen. Deswegen aber einen Bogen um ein Engagement zu machen, dürfte langfristig einer verpassten Chance gleich­kommen. Ob das Jahr des Büffels 2021 auch ein Bullenjahr für chine­sische Aktien wird, ist angesichts der starken Perfor­mance der letzten 12 Monate (Shanghai CSI 300 Index: +34 %) fraglich. Doch den perfekten Einstiegs­zeit­punkt zu finden, war auch bei allen anderen Anlage­mög­lich­keiten noch nie einfach.

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