Von: Hannah Halbheer
Gewisse reden von einem kurzen Hype, einer Blase, die bald wieder platzen wird. Andere sehen die digitale Kunst als Zukunft der Kunstwelt und sprechen von einer Disruption der zeitgenössischen Kunst, ähnlich dem Readymade Duchamps oder Picassos Kubismus. Was steckt hinter dem digitalen Mythos, der die Schlagzeilen vieler Medien prägt und aus dem Nichts aufgetaucht ist? Ein Erklärungsversuch.
«ERC-20, 24 x 24 Pixel, minted on June 23, Smart Contract Address: 0xb47e3cd837dDF8e4c57F05d70Ab865de6e193BBB». Kryptisch, abstrakt und für «non-digital-natives» unverständlich liest sich die Beschreibung des CryptoPunk 7523 von Larva Labs – ein verpixeltes, digitales Portrait, das für knappe US$ 12 Mio. bei Sotheby’s verkauft wurde. Unbekannte Worte und Codes ersetzen Begriffe wie Öl auf Leinwand, Grössenangaben in cm oder die Signatur des Künstlers. Bei CryptoPunk 7523 handelt es sich um einen der viel diskutierten NFTs, beziehungsweise einem sogenannten «Non-fungible Token», das so viel wie «nicht ersetzbar» heisst: Ein NFT ist also ein einzigartiges, digitales Abbild – gebunden an eine Blockchain. Dabei muss es sich nicht zwingenderweise um Bilder handeln. Auch aus Artikeln, Tweets, Videos oder Memes können NFTs mit relativ wenig technischem Aufwand gemacht, oder in Krypto Sprache korrekt gesagt, «geminted», werden.
Die neuen alten Meister des 21. Jahrhunderts?
Bei dem oben genannten Beispiel handelt es sich um einen besonderen CryptoPunk. Er ist nur einer von 10’000, doch eine besonders seltene Kombination von speziellen Accessoires macht ihn zu einem begehrten Sammlerobjekt. So trägt unsere Nummer 7523 beispielsweise einen Ohrring (sowie 2459 andere Punks), eine gestrickte Mütze (so wie 419 andere Punks) und eine Maske (wie 175 andere Punks). Sotheby’s listet diese Kombination in der Werkbeschreibung auf: Es handelt sich um sogenannte «Meta Attributes», die den Grad der Seltenheit eines einzelnen NFTs aus einer Serie ausmachen. CryptoPunks sind durch die grosse mediale Aufmerksamkeit und die hohen Preise, die sie bereits erzielt haben, die wohl bekanntesten NFTs – auch über die Grenzen der Kryptowelt hinaus. Sichere Werte, die sich, zumindest in Kryptoverhältnissen, einigermassen stabilisiert haben und teuer sind. Ähnlich hält es sich mit einer weiteren Serie namens «Bored Apes Yacht Club». Abbildungen von Affenportraits, die ebenfalls unterschiedliche Accessoires tragen und sich dadurch auszeichnen und voneinander unterscheiden. Es handelt sich dabei um Serien, die via Code generiert werden und somit jedes einzelne Bild zu einem Einzelstück machen. Die Grundidee lässt sich mit dem Sammeln von Panini-Bildchen vergleichen, wo gewisse Fussballspieler häufig auftauchen, die glitzernden Pokal-Sticker jedoch nur selten zu finden sind.
Exponentiell gewachsener Markt
Gehandelt werden NFTs auf Trading Plattformen wie OpenSea.io oder SuperRare – bezahlt wird meistens mit der nach Bitcoin zweitgrössten Kryptowährung Ether, basierend auf der Ethereum Blockchain. Aufgrund des viel diskutierten hohen Energieverbrauchs von Kryptos wie eben Ethereum oder Bitcoin, versuchen viele (NFT-)Künstler auf neue Blockchains umzusatteln – wie beispielsweise auf FLOW. Wer nun denkt, dass es sich bei der ganzen Sache noch um einen reinen Nischenmarkt handelt, an dem lediglich ein paar wenige Krypto- und Technologiefans teilnehmen, mag sich täuschen. Zahlreiche in den vergangenen Jahren zu Milliardären gewordenen Krypto-Investoren füttern den Markt mit ihrem Reichtum und stecken andere damit an. Während der Gesamtmarktumsatz in der ersten Hälfte von 2020 bei ca. US$ 13.7 Mio. lag, sehen die Zahlen im dritten Quartal 2021 mit geschätzten US$ 3.5 Mrd. schon etwas beeindruckender aus (nonfungible.com). Doch in dieser neuen Kryptowelt steckt nicht nur viel finanzielles Potential. Die Zukunftsvisionen und bereits existierende Entwicklungen reichen weiter: Ganze digitale Universen sollen geschaffen werden – sogenannte Metaverses.
Digitale Parallelwelt: Das Metaverse
Dies mag sich der Vorstellungskraft vieler entziehen. Doch die digitale Welt der NFTs begrenzt sich nicht auf die Kunst: Auch in der Gaming Industrie, Modebranche, Musik, etc. finden sie ihre Berechtigung. So konnte man beispielsweise die digitale Version einer Gucci Tasche erstehen (für einen höheren Preis als das physische Modell) oder an einem Travis Scott Konzert, das online stattfand und Millionen von Besuchern anlockte, teilnehmen. Doch wo genau fand dieses Konzert statt? Und wer soll nun die Luxustasche tragen? Ein in einem Metaverse lebender Avatar. Ein Metaverse ist eine erfundene, digitale Welt, in der man sich als virtuelle Figur, beziehungsweise Avatar, online bewegen kann. In diesen Welten gibt es meist eigene Währungen, die auf Blockchains basieren. In einigen kann Land oder Kleidung für die Avatare gekauft werden – oder Waffen und Rüstungen. Ganz wie wir es auf unserer Erde und in unserer Gesellschaft gewohnt sind. Beispiele dafür sind Welten wie Decentraland oder das Videospiel Fortnite. Auch Facebook steht zurzeit in den Schlagzeilen, ein solches Paralleluniversum aufbauen zu wollen. Wird unsere Kunst demnach zukünftig in online Galerien hängen anstatt zuhause in unseren eigenen vier Wänden? Anders als eine Sammlung, die eingeschlossen im Wohnhaus des Sammlers ausgestellt ist, ist eine NFT Sammlung für jeden zugänglich: herunterlad- und vervielfältigbar, reproduzier- und handelbar und trotzdem ein einzigartiges Original. Ein NFT kann als Anzeigebild auf Facebook genutzt oder ausgeliehen werden. Die dahinter liegende Blockchain verifiziert den Besitzer und die Preisentwicklung – dadurch entsteht ein ultimatives digitales Statussymbol.
Brücken in einen analogen Kunstmarkt
Spätestens nach dem Verkauf der digitalen Collage «Everydays: The First 5000 Days» eines bis dahin unbekannten Künstlers namens Beeple (aka Mike Winkelmann) im März 2021 bei Christie’s, horchte beim Stichwort NFT auch die traditionelle Kunstwelt auf. Der erzielte Preis von US$ 69 Mio. machte den amerikanischen Künstler über Nacht zum drittteuersten lebenden Künstler der Welt: direkt nach Jeff Koons und David Hockney. Das Ereignis hat einen Stein ins Rollen gebracht: Nun sind NFTs nicht mehr aus dem zeitgenössischen Kunstdiskurs wegzudenken. Bekannte Künstler wie Damien Hirst folgen dem Trend. Eben erst kündigte der wohl bekannteste Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi eine eigene NFT Serie an. Abgesehen von NFT gewidmeten Auktionen, tauchen auch vermehrt weitere Plattformen auf, die der neuen digitalen Kunst in der Kunstwelt eine Bühne bieten. Der Berliner Galerist Johann König hat beispielsweise eine Online-Handelsplattform kreiert, auf der unter anderem NFTs gehandelt werden können. Die Galerie Nagel-Draxler bestückte ihren Stand an der diesjährigen Art Basel mit einem «Crypto-Kiosk»; NFTs wurden dort auf Screens und als Prints physisch präsentiert. Bezahlt werden konnte in herkömmlichen Währungen und die Galerie wickelte den Kryptoteil unabhängig vom Käufer selbst ab. Das alles vereinfacht die Käufe für Nicht-Kryptophile: Man kriegt NFTs auch dann, wenn man kein Kryptowallet hat und einem das ganze Konzept doch noch etwas zu fern liegt. Denn so steht noch immer ein Galerist, eine Vertrauensperson, für Fragen und Unterstützung zur Seite.
Neues Kapitel in der Kunstgeschichte?
Aber können denn nun Code-generierte Affen als Kunst bezeichnet werden? In erster Linie ist es Geschmackssache: Auch bei Duchamps Objets trouvés sind sich diesbezüglich wohl nicht alle Betrachter einig. Doch Kunst steht für aktuelle Bewegungen der Gesellschaft, sie reflektiert den Zeitgeist. Unsere Welt ist digital geworden – damit setzt sich nun auch die zeitgenössische Kunst auseinander. Die NFTs haben in der modernen Kunstgeschichte somit bestimmt ihre Berechtigung. Ob sie jedoch bleiben, Larva Labs herkömmliche Künstler ablösen oder eine Art Basel durch OpenSea ersetzt wird, wird die Zukunft zeigen.
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