Interview mit: Christian Rahn
Im April 2019 ist unser Blog mit einem Beitrag zum Zürcher Sechseläuten online gegangen. Drei Jahre später veröffentlichen wir wieder einen Beitrag zum Zürcher Traditionsanlass, der die letzten zwei Jahre pandemiebedingt nicht hatte stattfinden können. Unser Gesprächspartner ist Christian Rahn, Partner bei Rahn+Bodmer Co. und langjähriges Mitglied und Altzunftmeister der Zunft zum Widder.
Christian Rahn, die Zahl der Covid-Ansteckungen war Anfang 2022 auf Rekordhöhe. Wann wurde entschieden, dass das Sechseläuten im April 2022 in seinem vollen Umfang stattfinden wird?
Anfang Jahr galten strenge Covid-Regeln. Aber man wusste aus Erfahrung, dass sich die Situation jeweils mit Beginn der wärmeren Jahreszeit entspannen würde. Ende Januar hat die Zunftmeisterversammlung entschieden, dass das Sechseläuten nach zwei Ausfällen in den Vorjahren wieder stattfinden soll. Der Aufwand für die Organisation ist riesig und basiert vollständig auf Freiwilligenarbeit. Es ist sehr sportlich, ein solch grosses Fest innerhalb von nur fast drei Monaten auf die Beine zu stellen.
Was bedeutet Ihnen die Zunft?
Meine Familie ist seit Hunderten von Jahren Mitglied der Zunft zum Widder. Es ist eine Familientradition, die von meinem Vater an meinen Bruder und mich weitergegeben wurde, und die ich wiederum auf meinen Sohn übertrage. Mein Vater war Zunftmeister und auch ich durfte dieses Amt von 2008 bis 2014 übernehmen, weshalb ich eine besondere Nähe zum Zunftwesen habe. In einer Zunft trifft man die unterschiedlichsten Personen. Es sind Handwerker, selbstständige Unternehmer, Manager, Angestellte aus allen Bereichen sowie Freiberufsangehörige — alle noch in der Ausbildung, im aktiven Berufsleben stehend oder schon in Pension. Diese Vielfalt und der Austausch untereinander sind sehr bereichernd und wertvoll. Über die Jahre sind viele Mitglieder Freunde oder zumindest gute Bekannte geworden. Das Zunftwesen ist etwas sehr Lebendiges.
Was ist am Sechseläuten besonders?
Das Sechseläuten ist eine wunderbare Tradition und ein Volksfest, bei welchem wir unzählige zünftige Freunde und Bekannte sowie deren Partnerinnen treffen. Das Sechseläuten ist für alle ein grosses Fest, für einen Zunftmeister kommt zusätzlich eine spezielle Herausforderung dazu: Er führt rhetorisch durch den ganzen Tag und wird am Abend ganz besonders gefordert. Dann nämlich besuchen jeweils alle Zünfte drei verschiedene andere Zünfte. Empfangen werden die Zünfte vom Zunftmeister der besuchten Zunft und von ein paar wenigen sogenannten Stubenhockern. Ein Vertreter der besuchenden Zunft hält eine möglichst unterhaltsame, launige Rede auf den empfangenden Zunftmeister. Die Aufgabe des Zunftmeisters ist es dann, eine möglichst witzige Antwort aus dem Stegreif zu formulieren. Die Zeit als Zunftmeister hat mich eng mit dem Sechseläuten verbunden, weil ich mich zur Vorbereitung für die vielen Auftritte während des Tages und des Abends sehr intensiv mit dem Sechseläuten beschäftigt habe. Es ist eine besondere Kunst, auf eine sehr gute, auf eine mittelgute oder allenfalls auch auf eine weniger gute Rede zu antworten. Manchmal gelingt dies besser, manchmal etwas weniger gut.
Das Sechseläuten ist ein langer Anlass. Er dauert von 10.00 Uhr am Vormittag bis um 4 Uhr früh. Man geht dann erfüllt und zufrieden nach Hause, nach einem Tag voller sozialer Kontakte und neuer Erkenntnisse. Das schweisst zusammen. Auch für die Stadt ist ein solch historisch bedeutender Anlass wertvoll. Die Zünfte sind seit 1336 institutionalisiert über die Brun’sche Zunftverfassung, die die städtische Politik von 1336 bis 1798 ausschliesslich an die Zünfte übertragen hat. Das Zunftwesen hat daher eine grosse Tradition, obschon die Zünfte heute keine Handwerkervereinigungen mehr sind und die Zünfte auch nicht mehr in die Politik involviert sind.
Wie funktionierten die Zünfte während den Pandemiejahren?
Es gab kaum Anlässe, wie auch sonst in der Gesellschaft nicht. Man hat viele zünftige Freunde ausserhalb der Zunft getroffen. Das Zunftwesen selbst stand still.
Wann wird es so weit sein, dass auch Frauen Zunftmitglieder sein dürfen?
Die Gesellschaft zur Fraumünster, eine Zunft, die nur aus Frauen besteht, gibt es schon länger. Die Integration von Frauen innerhalb des Zunftwesens wird sich in der Zukunft wesentlich verstärken, sei es, dass es weitere reine Frauenzünfte geben wird, oder dass man in einzelnen Zünften Frauen aufnimmt oder beides. Eine Integration der Frauen in die Zünfte wird die Dynamik der Zünfte nicht vollständig verändern. Ich persönlich stehe dem positiv gegenüber.
Was wünschen Sie sich für das Sechseläuten 2022?
Ich wünsche mir, dass wir das Sechseläuten trotz des Krieges in der Ukraine so durchführen können, dass wir Respekt und Verständnis für diese furchtbare Situation zeigen. Wir können nicht ein Fest feiern und den Krieg in Europa dabei einfach völlig ausblenden.
v.l.n.r.: Peter R. Rahn, André M. Bodmer, Sebastian Bidermann, Christian R. Bidermann, Christian Rahn, Jay Bidermann, Simon Rahn, Martin H. Bidermann
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