Während die internationale Kunstszene an Kunstmessen und Auktionen auf der ganzen Welt reist, scheint sie sich vom afrikanischen Kontinent eher fernzuhalten. Dennoch entsteht in Afrika ein eigenes Kunst-Ökosystem. Langsam, aber sicher wagt es sich aus seiner kontinentalen Isolation heraus und beginnt, dem Rest der Welt seine kulturelle Vielfalt und blühenden Entwicklungen zu präsentieren.
Das Potential Afrikas scheint unerschöpflich: Ein Kontinent mit einer Fläche von 30,1 Millionen Quadratkilometern, 54 Ländern mit unzähligen unterschiedlichen Sprachen und Kulturen. Laut UNO-Prognosen werden Länder wie Nigeria oder Tansania in den nächsten 30 Jahren zu den bevölkerungsreichsten Nationen der Welt gehören.
Ebenso farbenfroh wie vielseitig: Afrikas Kultur-Welten
In urbanen Zentren des Kontinents wachsen neue Kunst-Ökosysteme heran. Südafrika wird oft als das wirtschaftliche Kraftzentrum des Kontinents bezeichnet. Mit zwei grossen Kulturstädten wie Johannesburg und Kapstadt verfügt das Land im Süden über ein duales Zentrum, das auf dem Kontinent wohl am meisten Raum für die Kunst bietet. Ausserdem ist die Rede von Nigeria, einem Land, das sich ebenfalls eines gewissen aufstrebenden Wohlstands erfreut. Komplizierte Flugverbindungen oder strenge Visabestimmungen erschweren heute allerdings noch den Zugang für westliche Gäste. Wohl deshalb entsteht in Lagos ein Markt mit einer stabilen lokalen Sammlerbasis, einer eigenen Biennale, Auktionshäusern oder Galerien in einer lokalen Isolation. In Dakar und Accra blühen kleine Kunst-Ökosysteme auf. Getrieben wird diese Entwicklung von lokalen Künstlerinnen oder Künstlern (wie z.B. Amoako Boafo oder El Anatsui), die es in internationale Galerien Programme und New Yorker Abendauktionen geschafft haben. Weiter nördlich fungiert Marrakesch durch die geographische Nähe zu Europa und als beliebte Feriendestination als Tor zur Erschliessung des afrikanischen Kunstmarkts an den europäischen Kontinent.
Klischee des afrikanischen Primitivismus
Wer von afrikanischer Kunst hört, verbindet dessen Ästhetik häufig mit Masken oder Relikten. Diese westlichen Projektionen, die sich auf ein gewisses Mass an Primitivismus beziehen, scheinen auch unter der Kategorie «zeitgenössische» afrikanische Kunst noch tief in unserem Verständnis verankert. Durch diese Assoziation wird von zeitgenössischen afrikanischen Künstlern eine gewisse Naivität erwartet. Tatsächlich lässt sich dieses Vorurteil mit einem genauen Blick auf den Markt nicht bestätigen. Denn wer sich z.B. im Kunstviertel von Kapstadt durch die Galerien bewegt, könnte, je nach Galerie, den Ort aufgrund der ausgestellten Kunst nicht unbedingt lokalisieren.
Was ist zeitgenössische Kunst?
Kunst beschäftigt sich damit, was die Kunstschaffenden, deren Umwelt und Zeitgeist beeinflusst. Wie der Begriff bereits aussagt, beschäftigt sich zeitgenössische Kunst mit aktuellen Geschehnissen. Diese Zeit wird wiederum von der davor geschriebenen Geschichte beeinflusst. Die unterschiedlichen Vergangenheiten der Regionen dieser Erde bedingen somit auch ein differenziertes Verständnis von zeitgenössischer Kunst; deren Inhalte, Ästhetik oder Legitimität.
Neue, globalisierte Welt
In den 20ern konzentrierte sich die Kunstwelt in Paris – alle grossen Namen der Zeit kannten sich und inspirierten sich gegenseitig. Sie alle gingen bei Gertrude Stein oder Peggy Guggenheim ein und aus. In den 80ern feierte Warhol zusammen mit Basquiat und anderen Grössen im Studio 54 – wer Kunst in ihrer Entstehung erleben wollte, reiste nach New York. Heute ermöglicht es eine globalisierte Welt durch soziale Medien über Zeitzonen und Ländergrenzen hinweg vernetzt zu sein. Dadurch können sich auch entlegene Kunst-Ökosysteme an internationale Knotenpunkte anbinden.
Die Gründung eines neuen Museums für zeitgenössische afrikanische Kunst in Kapstadt, dem Zeitz MoCAA, spezialisierte Auktionen oder aufstrebende junge Künstlerinnen und Künstler treiben die internationale Resonanz von Kunst aus Afrika global voran. Die ‘black lives matter’-Bewegung sowie pandemie-bedingte weiterentwickelte Online-Verkaufskanäle haben zu weiterem Aufschwung beigetragen. Initiativen wie die Kunstmesse 1–54, die in London und New York jeweils in den grossen Messewochen stattfindet und neu auch einmal im Jahr in Marrakesch Besucherinnen und Besucher anlocken, verschaffen der zeitgenössischen afrikanischen Kunst vermehrt Sichtbarkeit auf der ganzen Welt.
Ein gesamter Kontinent bewegt sich aus der Peripherie des internationalen, kommerziellen Kunstmarktes immer mehr hinein in dessen Zentrum. Der afrikanische Kunstmarkt ist noch immer jung, doch er entwickelt sich schnell. Während bestimmte Namen bereits ihren Platz in der globalen Kunstgeschichte gefunden haben, dürfen wir uns noch auf unzählige, aufregende Neuentdeckungen freuen.
Bei Fragen zu diesem Thema stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Weitere Beiträge von Hannah Halbheer