Der Hype um die Werke junger Künstlerinnen und Künstler hat in letzter Zeit einen unglaublichen Rausch ausgelöst. Angeheizt wird dieses Phänomen durch das Verhalten bestimmter Sammler auf dem Sekundärmarkt, die als sogenannte «Kunstflipper» bekannt sind. «Flippen» von Kunst beschreibt eine Praxis, bei der Kunstwerke mit der Absicht erworben werden, sie schnell und gewinnbringend weiterzuverkaufen. Was für einen Künstler als kurzfristiger Erfolg mit steigenden Preisen erscheinen mag, kann eklatante Folgen für seine Zukunft haben.
Spekulation mit junger Kunst
Die Spekulation mit junger Kunst betrifft vor allem Künstlerinnen und Künstler, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen. Sie kommen frisch von der Kunstschule, werden oft von jungen Galerien vertreten und ihre Kunstwerke liegen noch in einer relativ niedrigen Preisspanne. Bestimmte Trends, Hypes, Insiderwissen über bevorstehende Ausstellungen oder Museumsankäufe, bevorstehende Veröffentlichungen oder neue Galerievertretungen können die Nachfrage für Künstler in Wellen nach oben treiben. Dieses Wissen kann für einen schnellen Weiterverkauf und einen finanziellen Gewinn genutzt werden. Die Praktik ist legitim und rechtlich unbedenklich, der Kunstmarkt ist bezüglich Insiderwissen oder dergleichen unreguliert. Trotzdem wird dieses Verhalten stark kritisiert und nicht gern gesehen, denn daraus entstehen gewichtige, negative Effekte auf dem Primärmarkt.
Wenige profitieren
Die Auswirkungen dieser Entwicklungen werden besonders ersichtlich in den öffentlich dokumentierten Auktionsergebnissen für zeitgenössische Kunst. Diese Ergebnisse übersteigen die ursprünglichen Schätzungen oft bei weitem. So wurde beispielsweise ein Werk von Sarah Crowner bei einer Phillips-Auktion in New York Ende 2021 auf US$ 60’000 bis 80’000 geschätzt. Der Hammer fiel bei US$ 378’000 Dollar. Sarah Crowner profitierte nicht von diesem Rekordpreis. Auch ihre Galeristen nicht: Der Gewinn ging allein an den Verkäufer des Werkes und das jeweilige Auktionshaus. Damien Hirst sorgte 2008 für Aufsehen, als er bei Sotheby’s eine Versteigerung seiner neu geschaffenen Werke durchführte. Damit trat er sowohl als Künstler, als auch als Verkäufer auf — solche Fälle sind jedoch auch heute noch die Ausnahme.
Aufbauarbeit der Galerien
Die Galerie hat die Aufgabe, ihre Künstlerinnen und Künstler nachhaltig in renommierten Sammlungen und Institutionen zu positionieren. Durch eine volatile Preisanpassung können sich Sammler, die bestimmte Kunstwerk bereits in Aussicht gestellt oder gekauft haben, bevor- oder benachteiligt fühlen. Insbesondere bei stark nachgefragten Positionen, führen Galerien lange Wartelisten. Dies wiederum treibt den Preis auf dem Sekundärmarkt weiter nach oben. Wenn die Preise so unkontrolliert in die Höhe schiessen, wird es für Sammlerinnen und Sammler, die aus Leidenschaft und Liebe zur Kunst sammeln, oder Institutionen wie Museen unmöglich, die Werke junger Künstlerinnen und Künstler zu erwerben und sie langfristig zu positionieren. Dies ist unerlässlich, um der Künstlerin einen langfristigen Platz in der Kunstgeschichte zu sichern.
Je schneller der Aufstieg, desto härter der Fall
Ein Beispiel, das die Kurzfristigkeit und Konsequenzen solcher Spekulationen veranschaulicht, sind die Preisentwicklungen des Künstlers Lucien Smith. Der Künstler, damals in seinen Zwanzigern, erschien um 2010 auf Auktionen und erzielte in kürzester Zeit einen Rekordpreis von US$ 389’000, was seine Schätzwerte um ein Weites übertraf. Wenn heute seine Arbeiten von Auktionshäusern angeboten werden, verkaufen sie sich gar nicht mehr oder wenn, dann in einer Preisspanne von teilweise sogar unter US$ 5’000. Seine Mini-Blase ist geplatzt und der weitere Verlauf seiner Karriere mehr als fraglich. Was bedeutet das nun für die weitere Karriere des jungen Künstlers?
Preisschild der künstlerischen Entwicklung
Die kommerzielle, nachfragegesteuerte Reproduktion dieses Marktrausches verzerrt die wahre künstlerische Bedeutung: nachhaltige Relevanz in der Kunstgeschichte wird über Jahre hinweg aufgebaut. Künstler durchlaufen verschiedene Phasen ihres Schaffensprozesses. Picasso ist heute weithin für seinen Kubismus bekannt, seine frühen Werke aus der Blauen und der Rosa Periode haben wenig Ähnlichkeit mit seinen späteren Werken. Viel eher hat er sein Oeuvre über Jahre hinweg weiterentwickelt, sich unterschiedlichen Stilen und Techniken gewidmet, experimentiert und die Spitze seines Erfolgs erst später erreicht. Wo bleibt dieses Wachstumspotenzial, wenn in den ersten Jahren der Karriere auf dem Markt bereits alles ausgeschöpft wurde? Junge Künstlerinnen und Künstler laufen Gefahr, stehts den Geschmack des Marktes befriedigen zu müssen, um auf der «Erfolgswelle» weiterreiten zu können. Nebst dem Risiko, als reines Spekulationsinstrument angesehen zu werden, wird eine nachhaltige Weiterentwicklung beinahe verunmöglicht.
Kunst ist keine Ware
Die Kunstwelt ist zwar international, in ihrem Kern allerdings sehr klein. Durch engmaschige Netzwerke und Insiderwissen, wird in der Regel schnell bekannt, wer welches Kaufverhalten pflegt. Diejenigen Käuferinnen oder Käufer, die Werke junger Künstler zu schnell weiterverkaufen, werden bald keine neuen Werke mehr von Galerien erhalten und somit in der Kunstwelt auf schwarze Listen gesetzt. Gewisse Galerien lassen ihre Käufer Verträge mit Klauseln unterschrieben, die eine Haltedauer von mindestens 5–8 Jahren vorschreiben. Eine rechtliche Durchsetzung im Falle von Verstössen ist jedoch schwierig.
Letztendlich ist es natürlich, bei einem deutlich höheren Angebot die Möglichkeit eines Verkaufs in Betracht zu ziehen. Doch zu schnelle Verkäufe mit zu hohen Preisen in der Öffentlichkeit können das Wachstum und die Entwicklung sehr junger Künstlerinnen und Künstler einschränken, finanzielle Ungleichheiten schaffen, den Zugang zu Arbeiten verschliessen und die künstlerische Relevanz beschneiden.
Kunst ist mehr als ein reines Wirtschaftsgut. Sie lebt von ihrem Erschaffer, vermittelt uns dessen Innerstes, sie schreibt Geschichte und nimmt einen Platz in unserer Gesellschaft ein. Wer das Werk einer jungen Künstlerin kauft, trägt dieser gegenüber ein, wenn auch nur kleines, Mass an Verantwortung. Junge Künstler sollten in einer Weise unterstützt werden, die ihr Talent anerkennt und ihre künstlerische Entwicklung nachhaltig fördert.
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